Es riecht verdächtig nach Wahlkampf
Anonymer Plagiatsvorwuf gegen Norbert Lammert
Robert Schmidt hat ein neues Kapitel in der deutschen Plagiatsaffäre aufgeschlagen. Zwar weiß niemand, wer Robert Schmidt ist, der außerdem in Wirklichkeit ganz anders heißt. Aber seit der peinlichen Doktortitelposse um Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg reicht ein anonymer Hinweis aus, ganze Karrieren zu gefährden. Das war zuletzt bei Annette Schavan so. Die Bundesbildungsministerin der Regierung Merkel räumte ihr Amt, nachdem eben jener Robert Schmidt in der mehr als 30 Jahre alten Doktorarbeit von Schavan Abschreiben und Zitierfehler entdeckt hatte.
Nun schickt Schmidt sich an, den nächsten Prominenten zu Fall zu bringen. Diesmal ist es Bundestagspräsident Norbert Lammert. Womöglich hat auch er sich bei seiner Dissertation vor 40 Jahren Unregelmäßigkeiten erlaubt. Der CDU-Politiker lässt seine Arbeit nun prüfen und hat sie obendrein für jeden sichtbar ins Internet gestellt.
Der jüngste Akt im Plagiatsdrama wirft Fragen auf. Ist es nach mehr als 40 Jahren noch angezeigt, eine Doktorarbeit zu sezieren? Muss auch 40 Jahre nach einer möglichen Fehlleistung der Beschuldigte sein Amt aufgeben, obwohl er von Freund wie politischem Gegner hochgeachtet wird?
Auf beide Fragen gibt es nur eine Antwort: ja. Eine wissenschaftliche Arbeit ist wertlos, wenn sie geleistet wurde, ohne das Regelwerk zu beachten. Denn nur dieses Regelwerk macht Leistungen vergleich- und damit halbwegs gerecht bewertbar. Und ja, auch 40 Jahre nach dem Fehler müsste ein Bundestagspräsident seinen Hut nehmen, gerade ein Bundestagspräsident. Denn er bekleidet formal das zweitwichtigste Amt im Staat und repräsentiert eine Verfassung, ohne deren Akzeptanz das Zusammenleben in einer Gesellschaft unmöglich ist.
Aber sollte nach Annette Schavan nun auch Norbert Lammert fallen, ist Robert Schmidt dennoch kein Held. Er ist ein anonymer Denunziant, der sich das ebenso anonyme Internet, einen beinahe rechtsfreien Raum, zunutze macht, um Dritte zu diskreditieren. Heldenhaft ist das nicht in einem Land, in dem jeder Kritik und Klage offen vorbringen darf. Im Falle Lammert riecht das sieben Wochen vor dem 22. September vielmehr verdächtig nach Wahlkampf.