Meinung Götze hat Löws Geduld überstrapaziert
Der Vorteil an der opulenten Amtszeit des Joachim Löw ist ja, dass der Bundestrainer aus Freiburg berechenbar geworden ist. Deshalb ist die wirklich einzige Überraschung der Kader-Nominierung, dass Mario Götze zwar heute noch von seinem WM-Finaltor 2014 in Rio träumen darf, in Russland aber trotzdem niemandem mehr zeigen darf, dass er besser sein kann als Messi.
Löws Zuneigung für den Edelkicker, den Jürgen Klopp kürzlich zum besten Fußballer erklärte, den er je trainiert habe, war stets gewaltig. Aber dann hatte Götze es mit seiner Nicht-Leistung wie auch sein Kumpel André Schürrle im WM-Jahr übertrieben. So viel Beistand, den Löw ihm vertrauten Spielern gerne gewährt, war dann doch nicht möglich.
Ist es aber im Fall des Torwarts Manuel Neuer — und damit sind wir auch schon im vertrauten Bereich: Neuer hätte Löw als Führungskraft bei bis an die Grenze gehender Verleugnung der Tatsachen zu gerne dabei. Dass der seit September nicht mehr gespielt hat, der DFB aber trotzdem höchste Anstrengungen unternimmt, ist ein mindestens problematisches Zeichen für den zweiten Torwart Marc André ter Stegen, auf den man sich zu 95 Prozent verlassen wird müssen. Ter Stegen mäßig beachtet im Wartestand — das ist suboptimal für einen Torwart, der nach wackligem Beginn seiner Nationalelf-Karriere erst zuletzt zu Konstanz gefunden hat.
Nils Petersen ist Löws traditionelles Überraschungsmoment, also wenig überraschend. Mit dem Leisetreter mit eingebauter Torgarantie hat er die ihm unliebsame Personalie Sandro Wagner erledigt, der als passabler Lautsprecher die Ecke im ziemlich runden Kaderbild hätte sein können. Die WM wird zeigen, ob Löws Gruppe der Harmonie am Ende ein Pfund ist oder zur Belastung wird. Immerhin sind diesmal mit Werner, Gomez und Petersen echte Torjäger dabei — 2016 bei der EM geriet deren Abwesenheit zum gravierendsten deutschen Problem. Klar war auch, dass sich Löw hinter den Erdogan-Clan um Özil und Gündogan stellen würde. Auf deren fußballerische Kernkompetenz mag er nicht verzichten. Da muss der Weltfriede zurückstehen, den Löw seit dem kuriosen türkischen Abend in London ohnehin viel weniger bedroht sieht als jene, die in den nächsten zwei Monaten regelmäßig darauf zurückkommen werden, wenn Özil schon zur Hymne schweigt — und Gündogan womöglich sein fußballerisches Können verweigern sollte.