Grenzen machen Staaten nicht sicherer
Anschläge in Norwegen sind Attacken auf die freie Gesellschaft
In Norwegen sind am Freitag die schlimmsten Alpträume wahr geworden: Ein bis dahin unbescholtener, weitgehend unauffälliger Bürger wird scheinbar von einer Sekunde auf die andere zu einem blutrünstigen Monster. Ein Wahnsinniger, der bombt und völlig wehrlose junge Menschen regelrecht hinrichtet. Wie ist das möglich? Was geht in einem solchen Menschen vor? Kann sich ein Land davor schützen?
Die Fragen in Norwegen sind auch die Fragen in Deutschland und überall in friedlich zusammenlebenden Gesellschaften. In Norwegen wie in Deutschland und überall trügt dieser Frieden. Unter der Oberfläche brodelt es. Und das Ziel, eine multikulturelle Ko-Existenz zu organisieren, rückt nach den Ereignissen von Oslo und Utøya hier wie dort in weitere Ferne.
Alle Politiker in der Alten Welt wissen, dass sie auf die Anforderungen der zum globalen Dorf gewordenen Erde noch keine endgültigen Antworten gefunden haben. Während die Wirtschaft in den Industrienationen längst grenzenlos agiert, versuchen Politiker allerorten noch immer, eben jene Grenzen zu zementieren. Dänemark ist dabei zuletzt einen besonders weiten und unrühmlichen Schritt gegangen. Und auch in den anderen skandinavischen Ländern haben Kräfte Auftrieb, die Unterschiede der Kulturen betonen, statt Gemeinsamkeiten zu suchen.
Nein, das entschuldigt in keiner Weise, was Anders B. Breivik getan hat. Und es beschuldigt auch nicht unmittelbar die teils ultra-nationalistischen Kräfte, die im Norden Europas am Werke sind. Es kann jedoch erklären, wie ein Mensch auf die krankhafte Idee kommt, er müsse die westliche Welt vor Islamismus und Marxismus retten.
Restlosen Schutz vor solchen Bluttaten kann und wird es niemals geben. Der Preis für vollkommene Sicherheit ist ebenso lückenlose Unfreiheit. Das will niemand. Aber ein deutliches Bekenntnis dazu, dass es im Zeitalter von Internet und Weltwirtschaft keine herkömmlichen Grenzen mehr geben kann und dass Gesellschaften sich fremden Kulturen öffnen müssen, ohne ihre eigene Kultur aufzugeben, könnte jenen den Acker entziehen, die Fremdenfeindlichkeit und Extremismus säen. Einen anderen Weg zu mehr Sicherheit in größtmöglicher Freiheit gibt es nicht.