Große Koalition: Zwischen Reißwolf und Ruppigkeiten
Die Einigung auf einen Koalitionsvertrag hat klare Vorteile: Endlich kann die unschöne Phase mit einem weiter im Amt befindlichen Kabinett und einem fast paralysierten neuen Bundestag zu Ende gehen. Die dritte große Koalition in Deutschland entspräche zumindest im Grundsatz, wenn auch nicht unbedingt von den Inhalten her, dem Wählerwillen.
Für Union und SPD ist wichtig, dass sie jeweils ihr Gesicht wahren. Die zusätzlichen Kosten für die Pläne der Koalitionäre sind mit 23 Milliarden Euro zwar happig, doch gemessen an den diskutierten 65 Milliarden mag man das gnädig finden — es gibt folglich auch keinen Grund für Steuererhöhungen. Besonders gut wäre es, wieder eine handlungsfähige Regierung zu haben.
Der unerfreulichste Aspekt ist, dass der Vertrag eventuell in den Reißwolf muss, falls ihn die SPD-Mitglieder ablehnen. Dann würde am 14. Dezember alles wieder auf Null gestellt. Die deutsche Politik hätte drei wichtige Monate verloren. Koalitionsgespräche in neuen Konstellationen, etwa zwischen Union und Grünen, müssten beginnen. Die Linkspartei würde sich der SPD erneut als Partner anbieten. Neuwahl wäre wieder ein Thema. Schlimme Perspektiven, weil noch mehr Zeit für konkrete Arbeit verloren ginge.
Schuld an diesem Dilemma ist die Idee der SPD-Führung, sich bei den Mitgliedern den Segen für die große Koalition zu holen. Der Schritt ist aber nachvollziehbar, denn die Genossen wissen aus Erfahrung, dass sie aus solch einem Bündnis ziemlich gerupft herauskommen können. Dennoch mutet es sonderbar an, dass jetzt nicht einmal eine halbe Million SPD-Mitglieder darüber entscheiden, wie der Wille aller Wähler wirklich zu interpretieren ist.
Inhaltlich überrascht nicht, dass sich alle als Sieger fühlen. Bei der Wirtschaftspolitik kann mit diesem Vertrag die Union für Kontinuität sorgen, ob sie sich über ihren Sieg bei der Pkw-Maut am Ende wirklich freut, ist abzuwarten. Die SPD erwies sich etwa beim Mindestlohn oder bei der doppelten Staatsbürgerschaft als stärker. Auch wenn sich beide Seiten als Gewinner feiern lassen, hat die SPD — wenn man ihr schlechtes Wahlergebnis bewertet — einen Punktsieg errungen. Sie setzte ihre Positionen deshalb durch, weil sie stets mit der möglichen Ablehnung ihrer Mitglieder drohen konnte. Allerdings könnte sich der Punktsieg schmerzhaft ins Gegenteil kehren. Wenn der Mitgliederentscheid negativ ausfällt, muss die Führung der Genossen aufs Altenteil gehen.
Doch selbst bei einem positiven Votum wird es ruppig: Auch wenn die Koalitionspartner jetzt Harmonie vorspielen, Angela Merkel und die Spitzenleute der Union wissen genau, dass sie ein Stück über den Tisch gezogen wurden. Und speziell die Kanzlerin kann sehr nachtragend sein.