Kalte Progression: Die Doppelzüngigkeit der Regierenden

Kalte Progression wird beklagt, doch es geschieht nichts

Ein Kommentar von Peter Kurz.

Foto: Young David (DY)

Es erscheint wie ein abgekartetes Spiel. Mit Krokodilstränen bejammern Union und SPD im Bundestag und in Interviews die kalte Progression. Diesen steuerlichen Effekt, der Millionen ihrer Wähler das Geld aus der Tasche zieht. Aber statt entsprechend gegenzusteuern, wie sie es als übermächtige Regierungskoalition könnte, bauen beide Bündnispartner Hürden auf. So hoch, dass sie wissen, dass der jeweils andere Partner sie nicht überspringen wird.

Mit einem Augenzwinkern — freilich nur in den Hinterzimmern der Macht, nicht aber offen gegenüber dem Steuerzahler — können sie dann darauf anstoßen, dass sich „leider“ nichts ändern wird. Dass der Staat auch weiterhin Hunderte Millionen Steuern einnimmt, die ihm eigentlich nicht zustehen.

Einnahmen, die dem Finanzminister auf dem Weg zur Haushaltskonsolidierung natürlich höchst gelegen kommen. Die aber illegitim sind. Selbst das Bundesfinanzministerium bezeichnet die dem Fiskus auf diese Weise zufließenden Milliarden als „heimliche Steuererhöhung“. So geschehen in einer Antwort auf die Anfrage eines Abgeordneten im vergangenen November. Heimlich — das heißt: Wir erhöhen ständig die Steuern, ohne dass dies formell und transparent beschlossen wird. Es geschieht automatisch mit jeder Einkommenssteigerung. Heimlich, das heißt auch: Es wird einkalkuliert, dass der Bürger schon nichts merken wird.

Ebenso heimlich reiben sich die öffentlichen Kassenwarte bei jedem Tarifabschluss die Hände — verdient der Staat doch kräftig bei jeder Lohnsteigerung mit. Dass dem Arbeitnehmer, für den soeben eine Einkommenserhöhung durchgesetzt wurde, davon gar nichts hat, weil er bei Einberechnung der Inflation nicht mehr oder sogar weniger Kaufkraft zur Verfügung hat, muss man diesem ja nicht auf die Nase binden.

Mittlerweile nimmt das Ganze jedoch so absurde Dimensionen an, dass die Regierungspolitiker nicht mehr darauf zählen dürfen, dass ihnen noch jemand ihr Beklagen der Situation abnimmt. Eigentlich wäre das die Stunde der Opposition. Welche Opposition? Die hat der Wähler so klein gemacht, dass sie ihm, selbst wenn sie es wollte, nicht helfen kann. Und er weiter zahlen muss.