Meinung Kirchliches Wirken ist wichtiger als die Zahlen
Es ist ein Phänomen der jährlichen Kirchenstatistiken, dass sie gerne gerade von denjenigen zu alarmistischen Prognosen über die Zukunft der Kirchen genutzt werden, die sich den Rest des Jahres herzlich wenig für kirchliches Engagement interessieren.
Innerhalb der Kirchen ist man längst dabei, sich freier von den Zahlen zu machen. So schmerzlich der Weg in diese Richtung auch sein mag, er ist unumgänglich.
Denn der Sinkflug wird anhalten. Ja, das hat auch mit den Austritten zu tun, aber viel mehr damit, dass den Kirchen die Mitglieder wegsterben, ohne dass in gleicher Zahl Kinder getauft werden. Ursachen dafür sind der demografische Wandel und ein kirchlicher Traditionsabbruch. Ob die leicht erholten Taufzahlen Folge gestiegener Geburtenraten oder Anzeichen einer Rückbesinnung auf die Kirche sind, mag je nach Blickwinkel des Betrachters unterschiedlich interpretiert werden. An der grundsätzlichen Perspektive ändert das wenig.
Der Katalog, was die Kirchen angeblich tun müssen, um gegenzusteuern, ist traditionell anlässlich der Statistiken besonders lang. Die Bewegung „Wir sind Kirche“ fordert einen Stopp der Pfarreizusammenlegungen und -schließungen, die zu einer immer größeren Entheimatung geführt hätten. Auch sei es allerhöchste Zeit, „neue Zugänge zu Menschen zu finden“. Diese Forderung ist so richtig wie banal. Sie verkennt, dass innerhalb der beiden Kirchen schon an ganz vielen Stellen Neues ausprobiert wird. Aber eine Kirche ist kein Schalter, den man einfach umlegen könnte. Und das Abwenden von ihr ist auch nicht allein institutionell begründet, sondern oft durch sehr persönliche Erfahrungen — und Enttäuschungen. Jugendarbeit kann nicht in jeder Gemeinde brillant und innovativ sein, auch Gottesdienst nicht oder Seniorenarbeit. Wer das eigene Erleben für das Ganze hält, lag bei einem so komplexen Organismus wie einer Kirche schon immer daneben.
Die Überzeugung, dass Kirchen nicht überall alles leisten müssen, sondern sich in ihren lokalen Begabungen ergänzen können, ist daher der Weg der Zukunft. Kirchliches Selbstbewusstsein wird noch stärker als heute aus dem Wirken und nicht mehr aus den nackten Zahlen wachsen. Allein aus diesen einen Bedeutungs- und vor allem Bedarfsverlust der Kirchen abzuleiten, gelingt jedenfalls nur, wenn kirchliches Engagement für den Rest des Jahres ignoriert wird.