Provokation aus Prinzip

Erbarmungswürdig nennt Wolfgang Schäuble den Vorstoß von Sigmar Gabriel, ein soziales Rettungspaket für die eigene Bevölkerung zu schnüren. Der Begriff passt auch noch in anderer Hinsicht: Die Große Koalition selbst ist in einem erbarmungswürdigen Zustand.

Die Nachrichten in den vergangenen Tagen lassen jedenfalls Zweifel aufkommen, ob es Union und SPD noch ernst ist mit dem gemeinsamen Regieren. Selbst CSU und CDU gehen wechselseitig auf Abstand. Weil Horst Seehofer bei Angela Merkel kein Gehör mit seinen Katastrophenszenarien in der Flüchtlingsdebatte findet, kassiert er kurzerhand zwei Gesetze ein, die längst beschlussreif waren: die Vorlagen zur Erbschaftsteuer und zu Werkverträgen. Das zeigt, dass es der CSU nicht um die Sache geht, sondern um Provokation aus Prinzip. In diese Kategorie fällt auch Seehofers Nicht-Antwort auf die Frage, ob die CSU Merkel ein weiteres Mal bei der Kanzlerkandidatur unterstützen werde. Als ob dafür irgendeine andere Person bei der Union in Sicht ist.

Und die SPD? Sie ist erst Recht in einem erbarmungswürdigen Zustand. Wenn Sigmar Gabriel jetzt seine soziale Ader entdeckt, dann mutet das wie ein verzweifelter Hakenschlag an, um kurz vor den drei wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt für seine Partei zu retten, was kaum noch zu retten ist — Glaubwürdigkeit und Kompetenz. Als ob es Kinderarmut und erste Signale eines schwieriger werdenden Auskommens im Alter nicht schon vor der Flüchtlingswelle gegeben hätte. Die SPD selbst hatte übrigens die schrittweise Absenkung des Rentenniveaus beschlossen, als sie noch mit den Grünen in der Regierung saß.

So spricht vieles dafür, dass die wechselseitigen Anfeindungen in der Großen Koalition noch zunehmen könnten. Für einen permanenten Wahlkampf ist es jedoch rund eineinhalb Jahre vor dem nächsten bundes- weiten Urnengang noch eindeutig zu früh.