Meinung Stabile Verhältnisse — nach Art des Autokraten Erdogan

Viel hätte bei der Parlamentswahl am Sonntag nicht gefehlt, dann wäre der Triumph für den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan perfekt gewesen. So fehlen seiner islamisch-konservativen Partei AKP 13 Stimmen in der Nationalversammlung, um das erklärte Ziel umzusetzen.

Foto: Judith Michaelis

Nach dem Willen Erdogans soll dem Land per Verfassungsreform ein Präsidialsystem verpasst werden. Noch in der Nacht zu gestern hat Ministerpräsident und AKP-Chef Ahmet Davutoglu eine neue Verfassung für das Land gefordert. Seine Partei hat die Wahl zwar haushoch gewonnen, die für eine Verfassungsänderung notwendige Zweidrittelmehrheit jedoch verpasst.

Somit dürfte die Bildung einer stabilen Regierung kein Problem sein. Auf die Zustimmung für eine Verfassungsänderung durch die drei übrigen Parteien im Parlament werden Erdogan und sein treuer Gefolgsmann Davutoglu aber lange warten müssen. Die Wahlverlierer fürchten zu Recht einen Autokraten an der Spitze des Landes, das in den vergangenen fünf Monaten eben wegen Erdogans Machtgier und -poker am Rande einer Zerreißprobe stand. Nicht nur die politischen Gegner des Präsidenten und unabhängige Medien haben Anlass zu Befürchtungen, auch die kurdische Bevölkerung — 15 der rund 30 Millionen Kurden leben in Erdogans Reich — muss sich Sorgen machen.

Davutoglu kündigte zwar an, die Bürgerechte sowie die Meinungs- und Glaubensfreiheit schützen zu wollen. Dass dies kaum mehr als warme Worte sind, zeigen die Aktionen der vergangenen Wochen, als regierungskritische Medien durch brutale Aktionen und Zwangsaufsicht auf (AKP-)Linie gebracht wurden. Auch mehr als 500 Tote seit der Juni-Wahl sprechen eine eigene Sprache. Sie gehen auf Erdogans Konto.

Der starke Mann von Ankara und seine Partei haben von der Unsicherheit profitiert, die sie selbst geschaffen, zumindest aber in Kauf genommen haben. Gefällig unterstützt durch Bettelbesuche der Bundeskanzlerin und das laute Schweigen der EU zu offenkundigen Grundrechtsverletzungen. Nun liegt es an Erdogan: Es wäre ein Leichtes, den Friedensprozess mit der PKK, den er im Juli bei der erst-besten Gelegenheit aus Machtkalkül beendet hat, wiederzubeleben. Der AKP-Sieg spiegelt den Wunsch vieler Türken nach stabilen Verhältnissen. Nicht aber den, mit Gewalt und Einschüchterungen Demokratie zu spielen.