Verbrechensopfer müssen geschützt werden
NRW will mit einer Selbstverständlichkeit ernst machen
Das Opfer wurde brutal zusammengeschlagen. Der Täter musste ins Gefängnis. Unter den Folgen, körperlich und seelisch, leidet der Verletzte immer noch. Spinnen wir diesen fiktiven, aber alltäglichen Fall weiter: Auf der Straße begegnen sie sich wieder, keine zwei Jahre nach der Tat. Wie wird sich das völlig überraschte Opfer fühlen?
Vor einem solchen Schock muss es bewahrt werden — sollte man meinen. Wird es auch. Jedenfalls in den USA, wo sich Opfer von Straftaten telefonisch oder per Email darüber informieren können, ob der Täter noch einsitzt und wann er entlassen wird. Das Opfer kann sogar in Auftrag geben, jederzeit über Haftort oder Freilassung des Täters informiert zu werden.
Ein Vorbild auch für uns? Nein, das haben wir auch längst. Jedenfalls theoretisch. In Paragraf 406 d der Strafprozessordnung heißt es: Dem Verletzten ist auf Antrag mitzuteilen, ob freiheitsentziehende Maßnahmen gegen den Verurteilten beendet oder ob erstmalig Vollzugslockerungen oder Urlaub gewährt werden.
Das klingt nach perfektem Opferschutz. Der Haken an der Sache: Kaum ein Verbrechensopfer kennt diese Vorschrift. Dabei steht im Gesetz auch, dass Verletzte einer Straftat „möglichst frühzeitig und soweit möglich in einer für sie verständlichen Sprache“ auf ihre Rechte hinzuweisen sind.
Bisher unterbleibt das in der Regel. Die Gründe: bürokratischer Mehraufwand. Und man hat auch das Persönlichkeitsrecht des Täters und dessen Resozialisierungsinteresse im Blick. Doch jedenfalls bei Gewaltdelikten sollten diese Aspekte hinter dem Interesse des Opfers zurücktreten, das vor einer überraschenden Begegnung mit seinem Peiniger geschützt werden muss, den es noch in Haft wähnt.
Es mag auch Opfer geben, die mit dem Fall endgültig abschließen wollen und keine entsprechende Information wünschen. Doch die Entscheidung muss bei ihnen liegen. Damit sie diese nach eigener Abwägung vernünftig treffen können, müssen sie über ihre Rechte informiert werden.
Dies durch Information über die bestehende Gesetzeslage zu gewährleisten, ist eine Bringschuld des Staates. Insofern ist es zwar gut, aber keineswegs sensationell, dass NRW endlich mit dieser Selbstverständlichkeit ernst machen will.