Werden wir Deutschen langsam ein normales Volk?
Über Jahrzehnte hat es im Ausland keiner so richtig verstanden, wo eigentlich diese viel beschworene „German Angst“ herkommt. Warum also ausgerechnet die Nation, die so ausdauernd wie keine zweite in Europa ihren Wohlstand und ihre Sicherheit mehrt, beides nicht einfach offenen Herzens genießt, sondern mit der gleichen Ausdauer jammert und beider Verlust fürchtet.Eine Erklärung lautete immer: Das ist der Krieg, der den Deutschen buchstäblich noch in den Knochen sitzt.
Dass der deutsche Angst-Index nun so sensationell niedrig liegt wie zuletzt vor 20 Jahren, kann freilich verschiedene Ursachen bis hin zu purem Zufall haben. Aber eine dürfte sehr wahrscheinlich sein: Die deutschen Ängste folgen erstens saisonalen Moden, und zweitens lauert hinter besonders beliebten und ausgiebig zelebrierten Ängsten am Rande der Unterhaltungs-Panik häufig keine reale Gefahr.
Das war so, als die Deutschen das „Waldsterben“ als Untergangs-Szenario beschworen (während einzelne deutsche Wälder eine Ausdehnung erreichten, die sie historisch nie besaßen). Das war in den Nuller-Jahren des neuen Jahrtausends so, als die Angst vor Schweine- und Vogelgrippe grassierte (aber jährlich 5000 bis 15 000 „normale“ Grippetote niemanden interessierten). Und das ist jetzt wieder so, wo die Angst vor Terror-Anschlägen hoch, aber die reale Chance auf einen Millionengewinn im Lotto bedeutend größer ist.
Und in Wahrheit wissen wir alle: Mit Ängsten ist man immer schlecht beraten, auf wirkliche Gefahren stellt man sich am besten frühzeitig ein. Auch nach internationalen Studien führen die Deutschen nicht mehr jedes Angstbarometer an. Allem Anschein nach sind wir Deutschen auf dem besten Weg, in Sachen Angst ein normales Volk zu werden.
Vielleicht auch, weil wir ja insgeheim wissen, dass ständige Selbstzweifel, der Mangel an Vertrauen, das Fehlen positiver Ziele, das ängstliche Verharren in der Komfortzone und zu wenige positive Gewohnheiten das Leben auf Dauer nicht erfolgreich noch glücklich machen. Oder wie es Theodor Fontane (1819-1898), der wichtigste Vertreter des poetischen Realismus, in der ersten Strophe eines besonders schönen Gedichts formuliert hat: „Du wirst es nie zu Tücht’gem bringen / Bei deines Grames Träumereien, / die Tränen lassen nichts gelingen: / Wer schaffen will muß fröhlich sein.“