Meinung Zeit für den Schulterschluss
Nach einem islamistisch motivierten Terroranschlag ist eines so sicher wie die automatisierten Reaktionen aus der Politik, dass die Gesellschaft sich nun nicht in ihrem freien Lebensstil beeinträchtigen lassen dürfe: die Forderung selbst ernannter „Islamkritiker“ an die Muslime, sich vom Terror im Namen ihrer Religion zu distanzieren.
Zuletzt stieß Marek Lieberberg, Organisator des Musikfestivals „Rock am Ring“, das wegen einer Terrorwarnung unterbrochen werden musste, in das gleiche Horn. Gewohnt pauschal hatte die AfD-Bundesvorsitzende Beatrix von Storch außerdem kürzlich „den Islam“ als eine Ideologie bezeichnet, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei. Kurz nach den Londoner Anschlägen rief die Rechtspopulistin via Twitter gar zu „muslimischen Massenprotesten“ auf.
Kann man verlangen, dass Muslime sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit von Gewalt und Terror distanzieren, weil religiöse Eiferer den Islam als Rechtfertigung für ihre Taten reklamieren? Das würde den Muslimen in Deutschland die Verantwortung dafür zuschieben, dass Terroristen sie vor ihren Karren zu spannen versuchen. Ebenso gut könnte man von den Sachsen erwarten, sich gebetsmühlenartig vom Rechtsextremismus zu distanzieren — und würde damit wohl auch manchem Unrecht tun.
Keine Frage: Es ist ein starkes Zeichen, dass Muslime in Köln gemeinsam auf die Straße gehen, um gegen jene die Stimme zu erheben, die Gewalt im Namen ihrer Religion verüben. Das verdient Respekt. Ein genauerer Blick zeigt allerdings, dass Muslime vielerorts schon lange ihre Verachtung für den Terror zum Ausdruck bringen. So hatten in Großbritannien 130 Imame dazu aufgerufen, den mutmaßlichen Attentätern von London das islamische Totengebet zu verwehren. Es wäre an der Zeit, in die Friedfertigkeit der überwältigenden Mehrheit der Muslime zu vertrauen und einen ehrlichen Schulterschluss zu wagen. Das würde dem Extremismus viel Nährboden entziehen.