Meinung G9: Die neue Bescheidenheit von Schwarz-Gelb
Wer die bisherigen Pressestatements zum Stand der Koalitionsverhandlungen in NRW verfolgt hat, dem konnte schwindelig werden: NRW auf dem Weg zum gründerfreundlichsten Bundesland in Deutschland, zur Vorreiterrolle beim ÖPNV, zum schnellsten Bundesland bei den Planfeststellungsverfahren, zum Taktgeber bei der E-Mobilität, zum führenden Bundesland bei Forschung und Entwicklung.
So viel beanspruchte Pole-Position war nie.
Am Mittwoch trat der schwarz-gelbe Rennstall erstmals auf die Verbalbremse und rückte freiwillig in die zweite Reihe. Bei der Abkehr vom Turbo-Abitur will man zunächst von den Erfahrungen anderer Bundesländer profitieren und nichts überstürzen, sondern sich zwei Jahre Zeit gönnen. Hauptfahrer Armin Laschet und sein Co-Pilot Christian Lindner spüren: Mit diesem Thema betreten sie vermintes Gelände — und lassen sich auf ein Rennen ein, bei dem es wenig zu gewinnen gibt.
Im Wahlkampf hatten CDU und FDP noch an dem von ihnen einst eingeführten G8-Abitur insofern festgehalten, als es die Regel bleiben und G9 nur die Wahloption werden sollte. Aber 500 000 Volksbegehren-Unterschriften gegen das Turbo-Abi und die laut Laschet „zunehmende Dynamik“ des Themas haben nun offenbar eine Akzentverschiebung bewirkt: Jetzt soll G9 wieder das Standardmodell auf dem Weg zum Abitur werden — wenn auch mit möglichen Ausnahmen.
Damit ist ein gigantischer Rückabwicklungsprozess in Gang gesetzt. Mehr Lehrer müssen her, neue Lehrpläne und ein Konzept für den möglichst reibungslosen Übergang. Dass damit Ruhe einkehrt beim Schulthema, steht nicht zu erwarten. Noch schweigt Schwarz-Gelb wie bisher bei all seinen in Aussicht gestellten Vorhaben zur Finanzierung. Aber das wird nicht der einzige Streitpunkt bleiben. Denn es gibt durchaus bei Lehrern und Eltern auch G8-Befürworter. In Ballungszentren wird auch künftig ein Angebot zu finden sein, das ihren Vorstellungen entspricht, im ländlichen Raum, dessen Benachteiligung die CDU doch beseitigen will, eher nicht mehr.
Vor allem aber bleibt die Frage im Raum, ob ein vergleichsweise festes Schulsystem wirklich auf Dauer geeignet ist, möglichst wenige Verlierer zu produzieren, oder ob nicht doch ganz andere Wege der Individualisierung eingeschlagen werden müssen. Von der Pole-Position in Bildungsfragen ist NRW noch weit entfernt.