Kriminalität Anschlag auf Synagoge in Essen vermutet: Schüsse auf Rabbinerhaus

Update | Essen · Am Freitag wurden insgesamt vier Schüsse auf eine Synagoge in Essen abgefeuert. Die Polizei hat Videoaufzeichnungen vom Täter. Reul vermutet Anschlag.

Innenminister Reul vermutet einen Anschlag hinter den Schüssen, die am Freitag auf eine Synagoge in Essen abgefeuert wurden.

Foto: dpa/Markus Gayk

Auf das frühere Rabbinerhaus an der Alten Synagoge in Essen sind mindestens vier Schüsse aus einer scharfen Waffe abgefeuert worden. Verletzt wurde niemand, wie die Polizei am Freitag mitteilte. Der Mann, der die Schüsse auf eine Tür abgefeuert haben soll, wird noch gesucht. In dem getroffenen Gebäude ist ein Institut für deutsch-jüdische Geschichte untergebracht. Es grenzt direkt an die Alte Synagoge, die heute als Kulturzentrum und nicht mehr als Gotteshaus genutzt wird.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach von einem „Anschlag“. Der Botschafter Israels in Deutschland, Ron Prosor, schrieb auf Twitter: „Die Schüsse auf die alte Synagoge in Essen zielen nicht nur auf die jüdische Gemeinde in Deutschland, sondern sind eine Bedrohung für die gesamte deutsche Gesellschaft.“

Die Einschusslöcher waren laut einem Polizeisprecher am Freitag gegen 8.30 Uhr von Zeugen gemeldet worden. Wann die Schüsse fielen, war zunächst unklar. „Wir gehen stark davon aus, dass es irgendwann in der Nacht war, als keiner da war“, sagte der Sprecher. Es gebe Videoaufzeichnungen einer Kamera, die den Platz filme, auf denen der mutmaßliche Täter zu sehen sei. Ein Polizeisprecher schränkte aber ein: „Die Qualität dieser Aufzeichnungen ist äußerst schlecht.“

Laut Reul, der den Tatort besuchte, wird nach einem männlichen Verdächtigen gefahndet. Der Staatsschutz sei eingebunden. Die Schüsse trafen laut dem Polizeisprecher eine verglaste Eingangstür. Der Rahmen sei beschädigt, und es gebe Schüsse durch die Scheibe. Anhand der Spurenlage stehe fest, dass es sich um eine scharfe Schusswaffe gehandelt habe.

Reul sagte: „Der Anschlag auf die Alte Synagoge in Essen erschüttert mich zutiefst.“ Die Jüdische Gemeinde Essen könne „sich darauf verlassen, dass wir alles tun, um den Täter schnellstmöglich zu ermitteln“.

Am Freitagabend kamen mehr als 50 Menschen am Tatort zu einer Mahnwache zusammen und stellten Kerzen auf. Zu ihr hatte das Bündnis „Essen stellt sich quer“ aufgerufen.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) schrieb bei Twitter, die Schüsse auf die Synagoge schockierten und entsetzten ihn. Man stehe an der Seite der Jüdinnen und Juden in NRW und schütze sie gegen Hass und Gewalt. „Jüdisches Leben ist ein Teil unseres Landes, ein Teil von uns - heute und an jedem anderen Tag“, schrieb er. NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) schrieb bei Twitter, der Vorfall führe leider erneut schmerzhaft vor Augen, „dass unsere Anstrengungen zum Schutz jüdischen Lebens nicht nachlassen dürfen“. Der nordrhein-westfälische SPD-Chef Thomas Kutschaty sprach von einem „Anschlag auf jüdisches Leben und auf die Vielfalt unserer Gesellschaft“.

Das Rabbinerhaus wird laut einer Sprecherin der Stadt nicht von der jüdischen Gemeinde genutzt. Es steht - baulich nicht davon getrennt - unmittelbar neben dem Synagogengebäude. Es war 1911-1913 zusammen mit der Synagoge im gleichen Stil erbaut worden, beides entworfen vom Architekten Edmund Körner. Im Rabbinerhaus sind laut der Stadt das Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte mit Archiv und Bibliothek sowie Räume der Universität Duisburg-Essen untergebracht. Das Salomon Ludwig Steinheim-Institut erforscht Geschichte und Kultur der Juden im deutschen Sprachraum.

Die Alte Synagoge ist heute das „Haus jüdischer Kultur“, ein Kulturinstitut der Stadt Essen. Gotteshaus der jüdischen Gemeinde der Stadt ist die neue Synagoge etwas außerhalb des Zentrums. In der Alten Synagoge gibt es laut einer Stadtsprecherin Ausstellungen und Veranstaltungen zur jüdischen Geschichte. Zu besonderen Anlässen komme dort auch die Kultusgemeinde zusammen, etwa zum Gedenken an die Pogromnacht vom 9. November 1938. Damals wurden die Alte Synagoge und das Rabbinerhaus angezündet und im Innenbereich zerstört. Die Polizei ist wegen einer abstrakten Gefahr während der Öffnungszeiten der Alten Synagoge stets vor Ort - wie bei Objekten mit jüdischem Bezug üblich.

Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) äußerte sich auf Facebook: „Diese Nachricht bestürzt mich sehr!“ Der Grünen-Bundestagsabgeordnete für Essen, Kai Gehring, teilte mit: „Der widerwärtige Anschlag muss schnellstmöglich und lückenlos aufgeklärt werden.“ Es brauche kontinuierlichen Schutz jüdischer Einrichtungen und eine konsequente, breite - zivilgesellschaftliche wie politische - Bekämpfung des Antisemitismus. NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) schrieb bei Twitter, die Tat führe vor Augen, „dass wir im Schutz jüdischen Lebens und beim Eintreten gegen Antisemitismus nicht nachlassen dürfen.“

(dpa)