Neue Regierung muss schnell nachsteuern Wahlrechtsreform jetzt!
Meinung · Was die Groko zuletzt hinbekommen hat, ist Stückwerk. der Bundestag platzt aus seinen Nähten. Jetzt muss eine Reform aus einem Guss her.
In Vielzahl posteten gestern Politikerinnen und Politiker aller Farben fröhliche Gruppen-Bilder aus dem Bundestag und erfreuten sich an ihren gewachsenen Fraktionen: 736 Abgeordnete in Berlin – das gab es noch nie. Zuletzt waren es 709, Soll-Stärke des Bundestags ist laut Bundeswahlgesetz 598. Aber die Überhang- und Ausgleichsmandate, die den Parteien-Anteil der Zweitstimmen mit den direkt gewählten Volksvertretern in Einklang zu bringen versuchen, führen das demokratische System in Berlin an den Rand: Der Bundestag platzt aus allen Nähten, die Büros sind überfüllt, die Arbeitsfähigkeit in überfüllten Ausschüssen kaum mehr gegeben. Manche, sagte die Grünen-Politikerin Claudia Roth, werden nie die Gelegenheit zur öffentlichen Rede erhalten. Und dann die Kosten: Abgeordnete werden vom Steuerzahler bezahlt, späte Versorgung inklusive. Klar, Demokratie darf und muss der Gesellschaft etwas wert sein. Aber ein überbordender Apparat ist kein Wert an sich – und zerstört sich selbst. Wer sollte daran bei aller Verdrossenheit vieler Wähler Interesse haben?
Es war gestern das Eingeständnis des scheidenden Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU), eine Wahlrechtsreform unter seiner Führung nicht geschafft zu haben: Tatsächlich haben CDU und SPD in der Großen Koalition eine zweiteilige Mini-Reform gebastelt – ein beklagenswerter Kompromiss ohne Wirk-Turbo, in dem die Union die Pferdestärken verweigerte. Die schnelle Selbstbeschränkung schien vielen vor der Nach-Merkel-Ära wohl zu sehr politischer Selbstmord. Und das System siegt nur schwerlich über den Einzelnen, wenn der Einzelne die Regeln bestimmt. So wird es Aufgabe des wohl neuen Dreierbündnisses aus SPD, Grünen und FDP wie in so vielen anderen Bereichen sein, größer zu denken. Und die zähe Wahlrechtsreform, bei der erst im nächsten Schritt 2025 Wahlkreise vergrößert würden, neu anzupacken. Dass SPD, FDP und Grüne dazu bereit sind, haben sie in der vergangenen Legislatur gesagt. Seinerzeit konnten sie sich aber noch ziemlich sicher sein, dass die Union nicht mitspielt. Jetzt bleibt ihnen dieser obszöne Puffer nicht mehr.