Debatten-Kultur im Bergischen Land Warum es ohne Streit keine Harmonie gibt
Debattenkultur hieß das Thema des Abends. Und es galt nicht nur, eine angemessene Plattform für die Thesen zu verschaffen, es war auch höchste Zeit, den Geburtstag der Politischen Runde an sich zu feiern.
Ohne Streit kein Fortschritt, ohne Streit keine Entwicklung, ohne Streit keine Gesellschaft, ohne Streit keine Harmonie. So hat es die Berliner Professorin Andrea Römmele jetzt auf den Punkt gebracht. Sie war Gast der Politischen Runde der Bergischen Volkshochschule (VHS). Debattenkultur hieß das Thema des Abends, und es hätte für den Anlass kaum besser gewählt sein können. Schließlich galt es nicht nur, der Professorin eine angemessene Plattform für ihre Thesen zu verschaffen, es war auch höchste Zeit, den Geburtstag der Politischen Runde an sich zu feiern. Die ist am 2. Oktober 60 Jahre alt geworden. Aber Corona und Kontaktbeschränkungen ließen eine ordentliche Party nicht zu. Deshalb wurde sie nun nachgeholt, persönlich mit allen, die an die Auer Schulstraße in Elberfeld gekommen waren, digital für die vielen Freunde der Diskussionsrunde an Tablets und Computern.
Streit, Debattenkultur, Verständnisse und Missverständnisse zwischen Generationen und gesellschaftlichen Gruppierungen scheint es auch in den 1950-er und 1960-er Jahren geben zu haben. Womöglich war die offene Aussprache damals noch gestört von zwölf Jahren Faschismus und dessen sehr schleppender Aufarbeitung in der jungen Bundesrepublik. Auf jeden mag Otto Roche das so empfunden haben, als er 1961 die Politische Runde aus der Taufe hob. Sie war fortan und ist heute noch an Montagen ein Ort, an dem sich Politiker und Wissenschaftler mit Journalisten vor Publikum über die Themen der Zeit austauschen. Wie ernst das Format zu Zeiten Roches und auch danach genommen wurde und wird, zeigt schon allein die Gästeliste. Darauf haben sich politische Schwergewichte wie Hans-Dietrich Genscher, Rudolf Dreßler und Gregor Gysi ebenso verewigt wie namhafte Wissenschaftler, Schriftstelle und Philosophen. 2000 Abende hat es bisher gegeben, 100 000 Zuschauer saßen insgesamt vor dem Podium.
Deshalb war es auch nicht überraschend, dass die Stuhlreihen gut gefüllt gewesen sind, als Prof. Roemmele mit der Journalistin Annette Hager über die schwere Krise der Debattenkultur in Deutschland sprach. Was ist noch zu sagen erlaubt? Und wie muss es gesagt werden, um das Gegenüber nicht zu kränken? Gendern oder nicht gendern? Wenn ja, wie? Sternchen? Doppelpunkt? Das Lehrer, die Lehrerin, der Lehrerich? Welche Generation denkt und spricht wie? Wo sind die Gräben und wie sehen tragfähige Brücken aus? „Harmonie entsteht trotz unterschiedlicher und nicht aufgrund gleicher Meinungen“, sagt Römmele. Sie wirbt für Lust am Diskurs - allerdings über der Gürtellinie einerseits und andererseits ohne überempfindlich zu sein.
Die nächste Politische Runde in der VHS, Auer Schulstraße, befasst sich am 9. November ab 19.30 Uhr mit dem Thema „Krise“ und wie Gesellschaften daraus lernen können. Dann ist der Soziologe Joris Steg von der Bergischen Universität zu Gast.