SMS-Protokolle nach dem Anschlag von Solingen rufen die Opposition auf den Plan: In der jetzt öffentlich gewordenen Konversation mit Innenministeriums-Staatssekretärin Daniela Lesmeister wirkt ihr Kollege aus dem Flüchtlingsministerium ziemlich verloren.
Das Innenministerium hatte dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zu dem Terroranschlag mit drei Toten ein zweiseitiges Protokoll mit den „Kommunikationsinhalten“ mit Flüchtlings-Staatssekretär Lorenz Bahr-Hedemann zur Verfügung gestellt. Das Papier, über das zunächst WDR und „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet hatten, liegt der dpa vor.
Am 23. August vergangenen Jahres soll der Syrer Issa Al H. auf einem Stadtfest in Solingen drei Menschen mit einem Messer getötet und acht weitere verletzt haben. Er sitzt unter Mordverdacht in Untersuchungshaft. Die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) hatte den Anschlag für sich reklamiert.
„Bitte unterrichte uns zeitnah“
Laut der Aufstellung hatte Bahr-Hedemann am Nachmittag nach dem Anschlag Lesmeister („Liebe Daniela“) eine Handy-Nachricht geschickt, weil er im „Spiegel“ von der Festnahme eines mutmaßlichen Vertrauten (15) des Attentäters in einem Flüchtlingsheim gelesen habe: „Bitte unterrichte uns zeitnah und sage mir bitte vorab, ob es eine Landeseinrichtung war?“ Lesmeister antwortete demnach in der gleichen Minute: „Melde mich gleich.“
Was danach passierte, ist unklar. Aber laut dem Protokoll schrieb Bahr-Hedemann sechs Stunden später um 22.48 Uhr die nächste SMS: „Liebe Daniela, es tut mir leid, dass ich dich noch einmal behelligen muss. Leider habe ich keine neuen Infos von euch erhalten, weder über dich, noch vom LKA oder über unser Haus (Sicherheitskonferenz). Das ist problematisch.“
Weiter schrieb der Staatssekretär in der Nachricht: „Der Presse kann ich entnehmen, dass ihr mit Unterstützung durch das SEK in eine Flüchtlingsunterkunft gegangen seid, wahrscheinlich in die Sonnenstraße, um den mutmaßlichen Täter zu verhaften. Bitte haltet uns auf dem Laufenden, denn es ist doch klar, dass wir zu den Tatverdächtigen, deren Geflüchtetengeschichte, Aufenthaltsstatus etc. befragt werden. Viele Grüße Lorenz“.
Ministerium: Nachricht wurde nicht wahrgenommen
Wie das Innenministerium in einer Notiz zu dem Protokoll schreibt, hatte Lesmeister die Nachricht von 22.48 Uhr „zu keinem Zeitpunkt wahrgenommen“. Sie befinde sich „auch nicht im Nachrichtenverlauf.“ Und weiter: „Ob diese durch den weiteren Verlauf der Folgenachrichten überlagert wurde oder die Nachricht nicht ankam, kann nicht nachvollzogen werden.“
Um 0.21 Uhr schickte Bahr-Hedemann laut dem Protokoll eine weitere Nachricht, diesmal nur kommentarlos den Link zu einem Online-Artikel, wonach der Verdächtige nun festgenommen worden sei. Eine SMS-Antwort von Lesmeister gab es laut dem Protokoll nicht.
Am nächsten Mittag schrieb Bahr-Hedemann eine weitere SMS: „Liebe Daniela, ich bin erschreckt, über welche Informationen die Presse verfügt (Name des mutmaßlichen Täters, dass er sich bereits gestern selbst gestellt hatte, den ausländerrechtlichen Status, die gescheiterte Abschiebung gem. Dublin, etc.). Und natürlich ist es so, dass nicht nur bei euch, sondern eben erwartungsgemäß auch bei uns reihenweise Presseanfragen eingehen. Grüße Lorenz“
Lesmeisters kurze Antwort: „Ja, Lorenz, geht mir auch so! Das Problem haben wir immer. LG“
Opposition kritisiert die Kommunikation scharf
In der Landespolitik sorgt der öffentlich gewordene Vorgang jetzt für Aufregung: „Null Abstimmung, null Unterstützung - die Landesregierung hat bei der Kommunikation offenbar komplett versagt“, so der FDP-Abgeordnete Marc Lürbke. Er ist Sprecher seiner Fraktion im U-Ausschuss zu Solingen. „Es stellt sich die alarmierende Frage, ob bei Terrorabwehr überhaupt aufeinander Verlass ist. Sicherheitsrisiken kann man nicht mit SMS-Funkstille begegnen“, so Lürbke weiter. Und: „Wenn Staatssekretäre nur Zeitungsausschnitte verschicken, ist das nicht nur unprofessionell, sondern ein klares Zeichen, dass das Innenministerium scheinbar jede Zusammenarbeit verweigert hat.“
Auch die SPD-Obfrau im U-Ausschuss, Lisa Kapteinat, kritisierte die Regierung scharf: „Das Fluchtministerium scheint durch das Innenministerium regelrecht vom Informationsfluss abgeschnitten worden zu sein: Kein üblicher Austausch von Mitteilungen zu wichtigen Ereignissen, keine weitergehende Einbindung des Fluchtministeriums, keine Telefonate auf Ministerebene - die neuen Erkenntnisse erwecken den Anschein, als würde das CDU-geführte Innenministerium innerhalb der Regierung Wüst bewusst Informationen gegenüber dem grünen Koalitionspartner vorenthalten.“
Lesmeister sagte dem WDR, sie wolle sich zu den Chats nicht äußern, „aus Respekt vor der wichtigen Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses“. Die beiden Ministerien teilten demnach mit, dass man sich um einen zügigen Austausch bemüht habe.
© dpa-infocom, dpa:250429-930-477393/1