Interview Das ist die Frau an der Spitze des Wuppertaler Werkzeugherstellers Stahlwille

Wuppertal · Vera Bökenbrink über ihre Laufbahn und die Stellung von Frauen in der Branche.

Vera Bökenbrink ist Geschäftsführerin des Wuppertaler Unternehmens Stahlwille.

Foto: Andreas Fischer

Seit Anfang 2020 ist Vera Bökenbrink Geschäftsführerin des Wuppertaler Unternehmens Stahlwille. Im Interview spricht sie über Kindheitsträume, Stereotype in der Branche und erklärt, warum sie nach dem Motto „Es geht nur gemeinsam“ führt.

Frau Bökenbrink, Sie stehen als Frau an der Spitze eines Unternehmens in einer männerdominierten Branche. War das schon immer ihr Traum oder hatten Sie andere Pläne?

Vera Bökenbrink: Als Kind wollte ich Direktor werden. Mein Vater war Direktor, meine Mutter war Apothekerin. Ich wollte immer, wie mein Vater, Ingenieur werden, wollte immer schon „Herr“ über ganz viel Technik sein und über Personal, das ganz viel mit Technik macht. Ich habe von meinem Vater auch Feilen, Bohren und Schweißen gelernt. Ich war in meiner Familie die Erstgeborene, also im Prinzip der Junge, also hat mein Vater mir all diese Fertigkeiten beigebracht. Gleichzeitig kann ich auch nähen und sticken, also Dinge, die meine Mutter mir beigebracht hat und die eher den Mädchen zugeordnet werden.

Entschieden haben Sie sich für eine Laufbahn als Diplom-Kauffrau und Diplom-Ingenieurin. Wie kam es dazu?

Bökenbrink: Ich habe angefangen, Maschinenbau zu studieren, aber recht schnell gemerkt, dass mich Maschinen zwar interessieren, ich sie aber nicht konstruieren will. Also habe ich nach zwei Semestern auf Betriebswirtschaft mit technischem Schwerpunkt umgesattelt. Im Beruf habe ich aber doch gemerkt, dass ich die Technik unbedingt verstehen können will, also habe ich dann doch noch ein Maschinenbaustudium hinterhergeschoben.

Das klingt, als seien Sie sehr perfektionistisch.

Bökenbrink: Absolut. Das brauche ich auch für meinen Job. Denn wir machen hier zwar gemeinhin nur Stahl krumm, aber das müssen wir perfekt machen. Produzieren in Cronenberg, produzieren in Deutschland, das würde nicht gehen, wenn wir nicht perfektionistisch wären. Die perfekte Qualität hält unsere Nase vorne gegenüber denen, die im Ausland produzieren lassen. Zum Perfektionismus gesellt sich aber auch eine gute Portion Pragmatismus. Bei unseren Produkten fahren wir immer die 120-Prozent-Lösung. Bei allem anderen müssen wir kurze Wege haben, Kompromisse schließen und Dinge schnell auf die Straße bringen.

Mussten Sie sich als Frau in der Branche erst einmal behaupten?

Bökenbrink: In meiner Karriere war ich immer die eine Frau unter vielen Männern. Da bekommt man viel Aufmerksamkeit. Das kann positiv und negativ sein. Ich konnte die Position immer nutzen, um Dinge umzusetzen, die mir wichtig waren. Ich würde das auch nicht unbedingt auf mein Frausein schieben. Ich hätte ebenso gut auch grüne Haare haben können. Das wäre dasselbe gewesen. Man passt einfach nicht in die vorgegebene Perspektive. Im Bergischen wurde ich aber bisher mit offenen Armen empfangen. Ich hatte immer das Gefühl, dass hier mehr darauf geachtet wird, was ich kann. Darum kann ich auch nicht verstehen, dass nicht viel mehr Frauen in unserer Branche Fuß fassen wollen.

Brauchen Frauen Mentoren, um diesen Weg zu gehen?

Bökenbrink: Nein, brauchen sie nicht. Ich hatte auch keinen. Aber es ist etwas Tolles, einen Mentor zu haben. Vielleicht brauchen Frauen – je nach Persönlichkeitsstruktur – eher diesen Schub, um sie erkennen zu lassen, dass sie es können. Ich bin selber Mentorin bei Competencia, um das für andere Frauen zu tun. In meinen Augen werden Mädchen und Frauen bei uns falsch sozialisiert. In meinem Elternhaus wurde mir immer alles zugetraut und gezeigt, Handwerken ebenso wie Handarbeiten. Das ist aber bei vielen heute immer noch nicht der Fall. Auch umgekehrt sollten Jungs nicht nur Schrauben lernen. In den Schulen darf es nicht nur die Kunst-AG geben, sondern zum Beispiel auch die Metallbau-AG. Wir als Unternehmen machen immer beim Girls- und Boys-Day mit und führen häufig Schulklassen durchs Unternehmen. Frauen in Führung müssen den Mädchen und Schülerinnen zeigen, was möglich ist – auch in männerdominierten Branchen. Das heißt ja nicht, dass ich nicht auch einmal Mädchen bin, zu Hause nie koche oder hier im Büro nicht auch einmal einen Rock trage. Es geht darum zu zeigen, dass auf einen Rock auch ganz wunderbar Arbeitsschuhe passen.

Was müsste sich ändern?

Bökenbrink: Wir müssen den Kindern ganz früh alle Möglichkeiten aufzeigen, unabhängig vom Geschlecht. Leider ist auch bei uns im Unternehmen die Frauenquote nicht überall ausgeglichen oder vielmehr sehr stereotyp. Lediglich die Kaufmännischen Abteilungen und das Marketing schlagen in die andere Richtung, dort sind eher weniger Männer im Team. In allen anderen Bereichen fehlen die Frauen. Das liegt daran, dass es einfach zu wenig Nachwuchs gibt. Was sehr schade ist, denn ansonsten setzen wir stark auf Diversität. Wir leben hier Integration.

Sie sind nicht nur im Job sehr eingespannt. Sie haben auch einen Sohn. Wie organisieren Sie sich?

Bökenbrink: Mein Mann und ich stemmen die Kinderbetreuung gemeinsam. Es geht auch Karriere mit Kind, man muss nur ein gewisses Organisationstalent haben. Schade ist, dass nun auch die Kitas seit Corona nicht mehr funktionieren. Ich sehe häufiger Mitarbeiter, die kurzfristig zur Kita müssen, weil die Betreuung ausfällt. Da müssen wir als Arbeitgeber Lösungen finden. Also haben wir bei Stahlwille auch mal Bürokinder herumlaufen und natürlich Homeoffice und flexible Arbeitszeiten. Wir finden gemeinsam immer eine Lösung.

Sie sehen sich also keinesfalls als Einzelkämpferin?

Bökenbrink: Hier bei Stahlwille auf keinen Fall. Das würde auch nicht funktionieren. Wir sind ein Team und so arbeiten wir hier auch. Gute Lösungen können nur gemeinsam gefunden werden. Je mehr Leute auf ein Problem schauen und je unterschiedlicher der Blickwinkel ist, desto sicherer ist auch, dass bei einer Lösung alle Eventualitäten bedacht werden. Es zählt nicht meine oder eine Lösung, sondern die Beste.