Aus der Isolation mitten ins Burscheider Stadtleben

Das Wohnprojekt mit 24 behinderten Menschen am Badehaus erhält den ersten Förderpreis für hervorragende Integration.

Burscheid. Friedhelm Kissing wohnt im Heilpädagogischen Heim des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) an der Bürgermeister-Schmidt-Straße hinter dem Badehaus. Der schwerbehinderte Mann fühlt sich ganz offensichtlich wohl an seinem neuen Lebens-Mittelpunkt.

„Hier kann ich einkaufen gehen.“ Lebensmittel, Süßigkeiten, herrlich spritzendes Schaumbad, Anoraks — es sprudelt nur so aus Friedhelm Kissing heraus, wenn er an seinen nächsten Besuch der Geschäfte auf der anderen Straßenseite denkt.

Dass es dem Bewohner so gut geht, war nicht immer so. Seinen Zuhörern schnürt es die Kehle zu, wenn er von seinem Dasein in einem Paderborner Heim vor Jahren berichtet. „Ich war immer an einen Stuhl festgebunden.“ Und, als würde er das als gerechte Strafe empfinden, fügt er demütig hinzu. „Weil ich immer so viel Mist gemacht habe.“

„Mist“ machen einige der 24 Bewohner des LVR-Projektes „Wohnen in Burscheid“ auch heute noch. In einem Werbefilm über das Haus beispielsweise berichtet der Besitzer einer Burscheider Eisdiele, wie einer seiner neuen Gäste mit der Hand mitten ins Speiseeis hinter der Theke gegriffen hat, um sich eine Portion zu mopsen. „Das sind halt Menschen, die sich nicht so verhalten, wie man es erwartet“, erläutert Sonja Weiblen vom Heilpädagogischen Hilfenetz des LVR. Und ihre Kollegin Angelika Juras ergänzt. „Die Bewohner waren es nicht gewohnt, in Geschäfte zu gehen.“

In Burscheid ist dies ein Stück Alltag geworden — für beide Seiten. Vor fünf Jahren wurde das Haus errichtet, mittlerweile ist Bewohner „Fitti“, wie Horst-Manfred David überall in der Stadt genannt wird, womöglich schon bekannter als Stefan Caplan. Das zumindest schließt der Bürgermeister selbst nicht als Ergebnis aus, wenn man denn eine Umfrage machen würde.

Burscheid, eine Insel der Glückseligkeit? Ein bisschen schon, wenn man den Worten des Vize-Vorsitzenden der Deutschen Heilpädagogischen Gesellschaft folgt. „Wenn wir heute das nachbarschaftliche Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung als Normalität in Burscheid preisen, dann, weil es für Menschen mit geistiger Behinderung und auffälligem Verhalten keineswegs normal ist, so leben zu können“, so Laudator Friedrich Dieckmann.

Einen großen Anteil an der Burscheider Normalität — und somit auch an dem Preis — hat auch der Kulturverein: Schon zweimal wurden im Badehaus Kunstwerke der Behinderten gezeigt — und damit ihre farbenfrohen Fantasien statt ihrer Verhaltensweisen sichtbar gemacht.