Interview Buchhandlung: „Das hier ist ein soziales Netzwerk“

Heute vor zehn Jahren eröffnete das Geschäft von Ute Hentschel — und ist zugleich ein Ort der Begegnung geworden.

Foto: Doro Siewert

Burscheid. Die beiden Schaufenster der Buchhandlung Ute Hentschel sind von beiden Seiten mit Fotos dekoriert. Die Aufnahmen erzählen eine der erstaunlichsten Geschichten des Burscheider Einzelhandels — vom ersten Einräumen des vor zehn Jahren angemieteten Ladenlokals in der Hauptstraße 26 bis hin zu den zahllosen Aktionen, Lesungen, Konzerten, die seither das Kulturleben der Stadt bereichert und die Buchhandlung zu einem der Top-Magneten des Burscheider Geschäftslebens gemacht haben.

Dabei war eigentlich alles ganz anders gedacht gewesen. Mit Michael Greiner (Bücher Busch) hatte sich Hentschel schon auf die Übernahme des Traditionshauses verständigt. Doch dann legte Greiner kurz vorher bei seinen finanziellen Vorstellungen noch mal nach — ein Vorgehen, das ihm jüngst auch wieder den Umzug der Betreiber des heutigen „Cafés an der Kirche“ in das Nachbarlokal bescherte.

Ute Hentschel entschied sich, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen — mit dem bekannten Ergebnis: Die Buchhandlung Busch ist inzwischen Geschichte, die Buchhandlung Hentschel dagegen feiert heute ihr zehnjähriges Bestehen, getragen von der scheints unerschöpflichen Energie ihrer Eigentümerin und mitgestaltet von den insgesamt neun Mitarbeiterinnen.

Frau Hentschel, mit 40 Jahren haben Sie sich selbstständig gemacht, Ihre Buchhandlung feiert also immer mit Ihnen runden Geburtstag. Hat sich der Schritt in die Selbstständigkeit vor zehn Jahren gelohnt?

Ute Hentschel:
Auf jeden Fall! Und zwar, weil mir hier keiner reinreden kann. Ich hatte schon immer eine große Klappe und konnte nur schwer ertragen, wenn meine Ideen und Verbesserungsvorschläge abgebügelt wurden. Heute bügel ich selber ab (lacht). Ich bin schon ziemlich dominant, aber hoffentlich dabei nicht ungerecht.

Wenn Sie überlegen, mit welchen Vorstellungen und Hoffnungen Sie vor zehn Jahren gestartet sind, was ist ganz anders gekommen als gedacht?

Hentschel: Mir war klar, dass ich viel würde arbeiten müssen, aber mir war nicht klar, dass es so viel sein würde. Ich bin schon manchmal an den Grenzen meiner Kräfte. Wenn ich dann sehe, wie viel Geld am Ende rauskommt, wenn wirklich alle Abzüge gemacht sind, an die man zum Teil vorher gar nicht gedacht hat, dann ist das etwa die Hälfte von dem, was ich als Akademikerin draußen verdienen würde. Da frage ich mich schon manchmal: Lohnt sich das? Und dann stehe ich morgens wieder in meinem Laden und denke: Ja! Das Problem ist: Man hat nie wirklich Feierabend. Am Sonntagabend habe ich den einen Kalenderständer aufgebaut, weil das nur geht, wenn keine Kunden im Laden sind. Am nächsten Abend folgt der nächste Ständer. Ich habe es ja schon geschafft, an zwei Tagen nicht im Laden zu sein, um in Ruhe Büroarbeiten erledigen zu können. Und ich merke, dass ich älter werde. Wie in den ersten Jahren wirklich rund um die Uhr zu arbeiten, das könnte ich heute gar nicht mehr.

Sie setzen mit der Buchhandlung auf die persönliche Note und das direkte Kundengespräch. Trotzdem bieten Sie auch Internethandel an. Wie ist inzwischen die Verteilung?

Hentschel: Das Internet macht nicht einmal fünf Prozent des Gesamtumsatzes aus. Die meisten unserer Kunden bestellen nur im Internet und holen die Bücher dann doch hier ab. Kleine Buchhandlungen können mit Internethandel und E-Books keinen Gewinn machen. Selbst Amazon macht ja noch keinen Gewinn, aber die können sich eine solche Phase länger leisten. Wir machen das nur, um nicht als Hinterdorfdeppen dazustehen. Aber wir setzen weiter darauf, dass die Leute zu uns in den Laden kommen und sich wohlfühlen. Das ist zwar altmodisch, aber ein Wert, den die Kunden umso mehr zu schätzen wissen, je weniger es ihn gibt.

Ist das umfangreiche begleitende Kulturprogramm mehr Ihre private Leidenschaft oder eher Notwendigkeit, um die Buchhandlung im Gespräch zu halten?

Hentschel: Beides. Man muss es tun, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, die eigenen Kompetenzen darzustellen und die Kunden ins Geschäft zu bekommen. Aber wenn ich das nicht selbst so gerne machen würde, dann fände das nicht in diesem Umfang statt. Manchmal, nicht immer, hole ich mir die Bands ins Haus, die ich auch selbst gerne hören würde, quasi zu meinem Privatkonzert. Und bei den Lesungen ist es ja nicht so, dass wir ständig die teuren Autoren zu Gast hätten, sondern wir machen auch viel selbst. Es macht mir zum Beispiel totalen Spaß, Themen wie Armenien anzustoßen, also auch heikle Themen in diese kleine Stadt zu bringen. Ich will, dass die Leute nachdenken.

Der Abgesang auf das Buch ist schon oft gesungen worden. Andererseits war 2014 das bisher erfolgreichste Geschäftsjahr Ihrer Buchhandlung. Um ein bisschen Orakel zu spielen: Wie entwickeln sich die Branche und Ihr Laden in der Zukunft?

Hentschel (lacht): Wenn ich das wüsste! Ich glaube, die nächsten zehn bis 15 Jahre haben wir noch einen Platz in der Landschaft. Aber ich weiß nicht, wie sich die nachfolgende Generation verhält. Ich sehe hier ja, wie die Kinder reagieren, wenn man ihnen Bilderbücher vorliest. Da wird unglaublich viel verpennt, wenn ihnen keine Geschichten mehr erzählt werden und man sie keine Bilder angucken lässt. Das Potenzial ist da und die Kinder würden auch Bücher lesen, wenn man das noch machen würde und sie nicht den ganzen Tag ihren elektronischen Geräten überlässt. Aber da habe ich schon so meine Sorgen, dass wir zu einer Gesellschaft der digitalen Idioten werden. Wir brauchen Orte der Kultur, der Literatur, des Austausches. Was heißt denn soziales Netzwerk? Das hier ist ein soziales Netzwerk.