Deutsches Sportabzeichen: Ein harter Kampf mit der unwilligen Gelenkmechanik
BV-Redakteur Rüger über seine fast gescheiterte Mission auf dem Sportplatz Griesberg.
Burscheid. Eine der albernsten Eigenschaften von Leistungssportlern ist es, sich selbst dann noch als solche zu fühlen, wenn Form und Fähigkeiten des eigenen Körpers schon längst keine verlässlichen Zeugen der ruhmreichen Vergangenheit mehr sind. Ich zum Beispiel fühle mich als Zehnkämpfer.
Gut, den letzten Wettkampf habe ich am 30. Juni und 1. Juli 1984 im Alter von 19 Jahren in Remscheid hinter mich gebracht. Damals hat es immerhin zu Platz elf der Bergischen Meisterschaften gereicht. Der lange Zeitraum dazwischen hindert mich nicht daran, auf den Tag 29 Jahre später siegesgewiss den Sportplatz auf dem Griesberg zu betreten.
Die Mission heißt: Deutsches Sportabzeichen. Die Zahl der Disziplinen ist von zehn auf zwei geschrumpft. Welche das sind, habe ich noch nicht ganz entschieden. Die Reform des Sportabzeichens lässt mir da einen gewissen Spielraum.
Ohnehin muss ich innerhalb eines Jahres jetzt nur noch Leistungsnachweise in vier Disziplingruppen erbringen. Auch wenn ich als alter Leichtathlet das Schwimmen eigentlich nicht besonders leiden kann, habe ich die Kategorien Ausdauer und Schnelligkeit schon im Januar im Burscheider Bad hinter mich gebracht. Ab einem gewissen Alter weiß der marode Bewegungsapparat halt die gelenkschonenden Vorteile des Wasserauftriebs zu schätzen. Bleiben für heute
noch Kraft und Koordination.
Seit meinem Badbesuch im Januar befinde ich mich auf Goldkurs. Auch das ist neu: Die Auszeichnung nach Bronze, Silber und Gold orientiert sich am Leistungsvermögen und nicht mehr an der Zahl der abgelegten Prüfungen. Manchem alten Sportabzeichenveteranen sollen die neuen Bedingungen schon den Spaß an der Freude verdorben haben.
Mir geht es aus anderem Grund beinahe ähnlich. Hier, auf diesem Kartoffelacker, soll ich jetzt zum Abschluss glänzen? Für eine solche Buckelpiste mit bizarrer Unkrautflora hätte ich zu meinen besten Zeiten nicht eine Muskelfaser meines einstmals athletischen Körpers bewegt.
Doch dann trifft mich der Bannstrahl aus den Augen von Sportabzeichenwartin Ingeborg Kaftan — und alle Sportlerjammerei von den ungünstigen äußeren Bedingungen bricht in sich zusammen. Stell dich nicht so an, meine ich aus ihrem Blick zu lesen. Hier oder gar nicht. Ausreden unerwünscht. Ich schlage innerlich die Hacken zusammen und füge mich in mein Schicksal.
Weil ich meinen Armen mehr vertraue als meinen Beinen, gehe ich erst den Kraftnachweis an. Kugel- oder Steinstoßen scheinen mir dann doch zu archaisch, ich ziehe das geschmeidigere Medizinballwerfen vor. Der OVH-Vorsitzende Martin Mudlaff sitzt mir im Nacken, aber mit 11,90 Meter halte ich ihn auf Distanz und meinen Goldkurs bei.
Jetzt nur noch rasch die Koordination unter Beweis stellen — in meiner alten Paradedisziplin, dem Weitsprung. Habe ich gedacht. Doch die ersten Versuche offenbaren, dass auch die größte Selbstsuggestion nach 29 Jahren vor der Unwilligkeit verschlissener Gelenkmechanik kapitulieren muss.
Mit dem letzten Energieaufgebot wuchte ich meinen womöglich doch leicht über Wettkampfgewicht liegenden Körper noch einmal in die Grube. 3,70 Meter. Die Punktlandung reicht in dieser Kategorie so gerade eben noch für Bronze. Mudlaff fliegt an mir vorbei und landet bei silbernen 4,15 Meter. Prüfer Hans Kirch bringt mich an den Rand der Fassungslosigkeit, als er mich danach trocken zu einem weiteren Sprung auffordert: „Die Weite muss jetzt noch mal bestätigt werden.“
Ist der Mann noch bei Trost? Ich bin schließlich Zehnkämpfer — und als solcher werde ich mich jetzt erst einmal ein Jahr erholen.