Kultur Die Geschichte eines Kelchs

Köln · Seit dieser Woche wird in der Kunststation Sankt Peter ein neues Kapitel der Ausstellungsreihe „Replace Rubens“ aufgeschlagen. Nach Gerhard Richter, Walid Raad und Liam Gillick präsentiert die US-Künstlerin Kara Walker ihr Werk exakt an der Stelle, an der normalerweise Rubens „Kreuzigung Petri“ hängt.

Die Papierarbeit der US-Künstlerin Kara Walker in der Kölner Kunststation Sankt Peter.

Foto: step/Eppinger

Dieses ist eine schwarz-weiße Papierarbeit, die das barocke Gemälde in der Größe sogar noch übertrifft.

Zentral ist dort ein monumentaler, weißer Schattenriss eines Kelchs vor einem dunklen, aus zahlreichen verschiedenen Mal- und Papierschichten collageartig aufgebauten Hintergrund. Dem Gefäß sind drei ekstatisch agierende Figuren sowie ein Figurenpaar zugeordnet, die alle im Profil zu sehen sind. In ihrer leidenden, halluzinierenden oder aggressiven Haltung heben sie sich ebenfalls als klare weiße Schattenrisse vor dem schwarzen Hintergrund ab. Dieser lässt Durchblicke auf die vierteilige Holzkonstruktion und die Leinwand zu.

Kara Walkers Werk ist
aktuell auch in Basel zu sehen

Mit ihrem Werk schafft Walker eine dramatisch-sinnliche Komposition, die das prominente religiöse Symbol mit dem Abgründigen und unmittelbar drohender Gewalterfahrung verbindet. Anstelle der Schergen, die Petrus unter ungeheurer Kraftanstrengung kopfüber ans Kreuz nageln, droht die Tänzerin am unteren rechten Rand die vor ihr auf den Boden gebückte Figur am Fuß des übermächtigen Kelches zu erdolchen.

Zentrale Kategorien ihres Werkes von Macht und Unterdrückung, Sklaverei, Rasse und Geschlecht, globale Ungerechtigkeit, Gewalt und Liebe werden um die Dimension von Religion und Kirche und die damit verbundenen Abgründe erweitert. Während ihres Aufenthalts als Fellow der American Academy in Rom im Jahr 2016 setzte sich die 1969 geborene Künstlerin intensiv mit der religiösen Bildgeschichte und den Narrativen des Glaubens auseinander, die in der Heiligen Stadt sehr präsent sind. In zahlreichen Zeichnungen reflektierte Walker die komplexe Geschichte des Christentums und die Thematik des Märtyrertums. Gerade für die Kolonialisierung und in Verbindung mit Sklaverei und zum Leben der Schwarzen, spielen diese christlichen Narrative eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Ohne Rücksicht auf politische Korrektheit nimmt Kara Walker immer wieder Rassismus und Unterwerfung sowie verdrängte Dimensionen menschlicher Brutalität in den künstlerischen Blick. Sie rüttelt mit ihren Werken an den tradierten Mythen, Religions- und Geschichtsbildern, zwingt die Betrachtenden zu einem schonungslosen Hinsehen und thematisiert die existenziellen Fragen, die in ihrer ungeheuerlichen Gegenwärtigkeit nichts an Aktualität verloren haben. Wo kann der Mensch als Opfer noch in seinem bedrohlichen Alltag Halt und Zuversicht finden? Wenn dies nicht mehr in der Religion möglich ist, könnte diese Frage ein Wahrsagegerät beantworten?

Weitere Werke der US-Künstlerin sind derzeit bei der Ausstellung „A Black Hole is Everything a Stars Longs to Be“ im Kunstmuseum Basel sowie bei der Sonderausstellung „Resist! Die Kunst des Widerstands“ im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum zu sehen. Die Basler Schau macht ab dem 14. Oktober auch Station in der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Die Reihe „Replace Rubens“ wird im November mit einer Position der Kölner Künstlerin Jana Schröder ihren Abschluss finden.