„Erdgas ist noch lange nicht wegdenkbar“

Burscheid. Stadtwerke-Geschäftsführer Siegfried Thielsch und Vorgänger Horst Albrecht sprechen im Interview über die Goetze-Werke ohne Wasser, liberalisierte Märkte und die Zeit nach dem Aufschwung.

Herr Albrecht, wenn Sie heute von der Liberalisierung des Gas- und möglicherweise auch Wassermarkts lesen, erkennen Sie Ihr früheres Geschäftsfeld noch wieder?

Horst Albrecht: Ich verfolge das sehr aufmerksam und stelle fest: Es hat sich trotz dieser Aktivitäten seitens der Bundes- und Landespolitik nichts zum Guten geändert. Die Preise sind in der Gasversorgung nicht billiger geworden. Und auch Wasser können Sie nicht flüssiger machen. Sie müssen es kaufen.

Sie haben ja noch die Umstellung vom Eifgenwasser auf die Dhünntalsperre in den 60er Jahren miterlebt.

Albrecht: Als ich hier ankam, hatten wir ein kommunales Wasserwerk im Eifgental und außerdem 37 private Wassergenossenschaften. Und dann riefen morgens um 10 Uhr die Goetze-Werke an: Würden Sie uns denn auch Wasser liefern? Wir sind trocken. Der junge Goetze war Motorboot-Fahrer und hatte kein Wasser für seine Fotoentwicklung. Aber Montag war auch der Waschtag in Burscheid mit den Verbrauchsspitzenwerten und das Netz war zu klein. Im April bin ich gekommen und im Herbst haben wir schon eine dicke Leitung durch die Autobahn gelegt und diesen Zustand beendet. Aber mit den Wassergenossenschaften war es noch lange schwierig, bis hin zu Prozessen.

Heute gibt es noch zwei Genossenschaften in Kämersheide und Kamberg-Neuenhaus. Wie ist das Verhältnis inzwischen?

Siegfried Thielsch: Gut. Wir haben dort ja auch Wasserzählerschächte. Und wenn die Genossenschaften Probleme haben wie damals, als vor einigen Jahren ein Jauchefass an der Quelle Kämersheide/Rötzinghofen geplatzt war und dort mehrere Monate keine eigene Förderung betrieben werden durfte, springen wir als Wasserlieferant ein. Außerdem haben wir seit 1971 auch das gesamte Wassernetz für die Wassergenossenschaft Kämersheide gebaut.

Albrecht: Die Probleme früher waren ja auch verständlich. Die Genossenschaften hatten sich ohne die Gemeinde eine Wasserversorgung aufgebaut und die sollte auf einmal weg. Da gab es den Besitzerstolz. Denen konnte man auch nicht erzählen, dass das Wasser nicht in Ordnung ist. Obwohl es hygienisch oft bedenklich war.

Herr Albrecht, wenn Sie auf Ihre 34 Jahre bei den Stadtwerken zurückblicken, was würden Sie als Ihre größte Herausforderung bezeichnen?

Albrecht: Die Wasserversorgung. Ich bin Ingenieur für Wasserwirtschaft und kenne die Wasserversorgung bis zur Bakteriologie. Deshalb wusste ich genau um die Probleme hier.

Und das wurde erst besser durch die Umstellung auf die Dhünntalsperre?

Albrecht: Wir haben zwischendurch noch ein Notwasserwerk gebaut. Am Hammerweg stand damals ein Wasserturm und wir haben bei Maria in der Aue die Dhünn angestaut, eine Wasseraufbereitung gebaut und von dort das Wasser über unser Wasserwerk im Eifgen nach Burscheid gebracht.

Thielsch: Ich habe im Archiv noch Zeitungsberichte von 1957 und 1958 entdeckt über einen Streit zwischen Wermelskirchen und Burscheid, weil anscheinend in Wermelskirchen Abwässer in den Eifgenbach geleitet wurden, der wiederum das Wasserwerk speiste. Albrecht: Das war die negative Seite. Aber positiv war: Bei den Burscheider Stadtwerken befanden wir uns immer in einer Aufwärtsentwicklung. Das hat aufgebaut. Darum habe ich nie gemerkt, wie viel ich gearbeitet habe.

Heute sind die Herausforderungen ganz andere. Die Stadtwerke kämpfen auf einem liberalisierten Markt um ihre Marktanteile und die Kunden. Die goldenen Zeiten sind, was das Wachstum angeht, vorbei.

Thielsch: Auch im Rahmen der Energiewende. Wir als Gasversorger müssen beweisen, dass Erdgas noch auf lange Zeit nicht wegdenkbar ist, weil wir mit der Erneuerung von Gasheizkesseln, Gaswärmepumpen, Miniblockheizkraftwerken und vielen anderen Maßnahmen die niedrigsten CO2-Vermeidungskosten haben. Es gibt viele Institute, die sagen, dass die Wärmedämmung doppelt so viel kostet wie die Einsparung. Neben dem Wettbewerb, in dem wir inzwischen zehn Prozent unserer Kunden verloren haben, sind wir also auch an dieser Front mit unseren Energieberatern draußen bei den Kunden gefordert.

Einerseits leben Sie vom Gasverkauf, andererseits beraten Sie die Kunden dabei, wie diese ihren Verbrauch senken können.

Thielsch: Mit jeder Kesselerneuerung, zu der wir raten, haben wir am Ende auch weniger Umsatz. Damit müssen wir leben und kostenmäßig zurechtkommen. Eine ganz tolle Sache ist in dem Zusammenhang das ehemalige Internat, das jetzt vom Evangelischen Kirchenkreis umgebaut wird. Urspünglich sollte da eine Stromwärmepumpe rein. Stattdessen hat man sich jetzt für zwei Gaswärmepumpen entschieden. Da kommen Sonden 99 Meter tief in die Erde, aber die Investionskosten sind für die Kirche um viele Tausend Euro günstiger als eine Stromwärmepumpe, weil erheblich weniger Bohrungen für die Erdsonden erforderlich sind. So etwas macht aber sehr viel Arbeit, weil wir jedem, der sich schon für eine Stromlösung entschieden hat, beweisen müssen, dass Gas günstiger ist.

Albrecht: Unsere große Leistung damals war die restlose Umstellung der Industriebetriebe vom Teeröl mit seinem riesigen Schwefelanteil auf Gas, obwohl das schwere Heizöl zu der Zeit mindestens um die Hälfte billiger war. Dabei hatten wir bis 1973 noch das giftige Kokereigas.

Die Liberalisierung des Gasmarktes ist schon länger im Gange. Wie sehen Sie die Entwicklung beim Wassermarkt?

Thielsch: Die EU-Kompromissvorschläge sehen ja inzwischen vor, dass Stadtwerke in kommunaler Hand, die mehr als 80 Prozent des Wassers im eigenen Stadtgebiet verkaufen, wie das bei uns der Fall ist, von der gesamten Richtlinie gar nicht betroffen sein sollen. Von den rund tausend Stadtwerken in Deutschland, die Wasserversorger sind, werden sich also maximal 250 der Richtlinie stellen müssen.

Also keine Gefahr für die Wasserversorgung der Bevölkerung?

Thielsch: In der Richtlinie und den Kompromissvorschlägen dazu steht ganz klar, dass es keine Privatisierung der kommunalen Wasserwirtschaft geben soll. Wenn diese Richtlinie verabschiedet ist, droht sicherlich auf Jahre hin keine neue Gefahr auf diesem Gebiet. Es ja auch so, dass Sie verschiedenes Wasser aus chemischen Gründen nicht durch eine gemeinsame Leitung transportieren können. Wasser bleibt immer eine lokale Angelegenheit. Die allgemeine Einspeisung ins Netz wie bei Strom oder Gas ist beim Wasser nicht denkbar.

Was würden Sie aktuell als die größte Herausforderung der Stadtwerke beschreiben?

Thielsch: Die Stabilisierung des Gasabsatzes. Und dass bei den Netzentgeltanträgen und den Verhandlungen mit der Netzagentur über die Höhe der Gasnetzentgelte weiterhin eine angemessene Kostendeckung erzielt werden kann.

Die politische Diskussion um den Verkauf von Stadtwerken ist längst wieder abgeebbt. Stattdessen gibt es einen Retrotrend. Was ist Ihre Verteidigungsrede für den Wert kommunaler Stadtwerke?

Thielsch: Die Stadtwerke Düren waren zu einem Großteil an RWE verkauft. Die Bürgerinitiative für den Rückkauf dort verdeutlicht den Wert kommunaler Stadtwerke sehr deutlich. Alle zusammen, von den Kirchen bis zu den Gewerkschaften, erklären den Bürgern, welche Vorteile Stadtwerke in kommunaler Hand haben, gerade bei der Wasserversorgung. Die Privatisierung der Wasserversorgung in Berlin hat zu einer deutlichen Preiserhöhung geführt. In Wuppertal, wo der französische Konzern GDF Suez AG eingestiegen war, hat das Bundeskartellamt wegen der hohen Wasserpreise ermittelt. Überall gibt es die Bestrebung zurückzurudern. Fremde Konzerne sind ja keine Sozialämter. Sie wollen eine hohe Rendite, zum Teil nach Steuern nicht unter zehn Prozent für jede Investition. Ein kommunales Unternehmen investiert auch noch bei sechs oder sechseinhalb Prozent. Die hohen Renditeerwartungen gehen zu Lasten der Verbraucher, der Arbeitnehmer und der Preise. Zudem entfallen die Bürgernähe und Kontrollmöglichkeiten durch die Kommune, wenn Sie die Stadtwerke aus der Hand geben.

Albrecht: Man kann auch vieles nicht anpacken, wenn man nicht die absoluten, ungezinkten Zahlen kennt. Und rückblickend auf dieses kleine Werk kann ich sagen: Wir waren bei den Erdgaspreisen immer im unteren Fünftel der Bundesrepublik und bei der Industrieversorgung im Ruhrgasgebiet die Allerbesten im Verhältnis zu unserer Größe. Thielsch: Heute haben es selbst die zehn Prozent an Gaskunden, die inzwischen zu einem anderen Anbieter gewechselt sind, im Prinzip den Burscheider Stadtwerken zu verdanken, dass sie Nutznießer von Gastarifen unter dem Einkaufspreis sind. In anderen Städten, wo der Gaspreis höher ist, sind auch die Preise der Wettbewerber viel höher. Das Undankbare ist: Selbst wenn wir zu den günstigsten Anbietern zählen, werden wir immer noch von Dumpingpreisen unterboten — so lange die Newcomer das überleben.

Herr Thielsch, beneiden Sie Herrn Albrecht um seine Erfahrung des stetigen Wachstums?

Thielsch: Sicher, die letzten zehn Jahre konnten wir beim Wachstum nicht so viel bewegen. Und wenn Unternehmen wie zuletzt die RG Textil-Technik in Konkurs gehen, fallen sie auch als Kunden für die Stadtwerke weg. Jahrelang hatten wir bei über 90 Prozent der Neubauten Gasanschlüsse, heute sind es noch 50 Prozent. Der Rest entfällt auf Stromwärmepumpen oder Holzpellets.

Und umgekehrt: Bedauern Sie Herrn Thielsch?

Albrecht: Er macht es doch richtig. Was heute auf dem Markt möglich ist, machen die Stadtwerke ja 100-prozentig. Aber natürlich ist Arbeit am besten zu ertragen, wenn man Erfolg hat. Insofern bedauere ich ihn schon ein bisschen.