Für sie ist die EM noch nicht beendet
252 Portugiesen und 14 Franzosen leben in Burscheid. Und für die Fußballfans unter ihnen ist das Finale am Sonntag ein Fest.
Burscheid. Nach der 0:2-Niederlage der Deutschen im Halbfinale gegen Frankreich ist das Interesse an der Fußball-Europameisterschaft auch in Burscheid spürbar erkaltet. Aber nicht überall: Zumindest zwei Bevölkerungsgruppen blicken dem Finale am Sonntag in Paris mit Hochspannung entgegen.
Miguel Colaco ist Friseur. Und fußballverrückt. Und manchmal gibt es Momente, da greift beides wunderbar ineinander. Der Friseursalon an der Montanusstraße hat am Freitag seine Nebenfunktion als Nachrichtenumschlagplatz perfekt erfüllt: „Vor einer Stunde habe ich von einem Kunden vier Karten für das Finale in Paris gekauft“, freut sich der Portugiese am Mittag.
Der Kunde, ein Deutscher, hatte sich verkalkuliert und auf die Deutschen als Finalteilnehmer gesetzt. Jetzt wird Colaco Sonntagfrüh ins Auto steigen (mit wem, das wusste er am Freitag noch nicht) und sich auf den Weg in die französische Hauptstadt machen.
So hat er das eigentlich immer gehalten bei Europameisterschaften. Irgendwann war er meist im Stadion. Aber für einen Titel hat es bei den Portugiesen noch nie gereicht. Und auch für Sonntag ist Colaco nicht optimistisch: „Ich drücke ihnen natürlich die Daumen, aber ich befürchte, sie werden verlieren.“ Das war 2004 im Finale im eigenen Land schon einmal so. Damals hieß der Sieger Griechenland.
Dass sein Heimatland im Finale steht, freut Colaco natürlich, die Kritik daran ärgert ihn. „Die Berichterstattung in Deutschland über Portugal war zu negativ.“ Er macht als Grund dafür aus, „dass Ronaldo polarisiert“. Nein, auch der Friseur hat sich nicht an den drei Unentschieden in der Vorrunde gefreut: „Das war nicht schön, aber erfolgreich. Sonst haben wir immer schön gespielt und sind dann rausgeflogen.“
Aber dass er jetzt von vielen Seiten hört, dass Portugal es nicht verdient habe, so weit zu kommen, regt ihn auf: „Wenn eine Mannschaft ins Finale kommt, hat sie nicht nur Glück gehabt.“
Damit hat Portugal für den Portugiesen schon die Erwartungen übertroffen. Für Sonntag hofft auch Colaco wieder auf — Ronaldo, natürlich, auch wenn er selbst kein Fan des Ausnahmefußballers ist.
Familie Perthel konnte das Halbfinale am Donnerstagabend ganz entspannt angehen. „Das Schöne war: Bei uns gibt es keine Verlierer“, blickt Magali Perthel zurück. Die Französin ist mit einem Deutschen verheiratet; die vier Kinder Aurel (15), Tibor (12), Tosca (8) und Lovis (7) waren in der komfortablen Lage, sich mit beiden Mannschaften freuen zu können.
Vater Klaus war zwar über die Pfiffe des französischen Publikums bei deutschen Ballkontakten nicht amüsiert. Aber als die deutsche Niederlage besiegelt war, „habe ich mit den Kindern einen kleinen französischen Autokorso gebildet und sie haben ,Allez, les bleus’ aus der geöffneten Heckklappe gerufen.“
Seine Frau Magali hat den französischen Erfolg bejubelt, zumal in Gesellschaft ihrer Eltern, die gerade aus Frankreich zu Besuch in Burscheid sind. Und belustigt hat sie am Tag nach dem Sieg beim Einkaufen mit ihrem französischen Akzent festgestellt, „dass die Verkäufer heute nicht unbedingt mit mir reden wollten“.
Aber ob sie das Finale überhaupt sehen kann, weiß sie noch gar nicht. Die Familie hat eine Woche auf einem Campingplatz an der Mosel geplant. Wie dort die Fernsehbedingungen sind, ist noch unklar. So blieb es bisher bei der saloppen Whatsapp-Nachricht an die portugiesische Freundin: „Na, sehen wir uns beim Finale?“
In einer Hinsicht ist sich Magali Perthel aber sicher: Der Titel würde ihrem Heimatland guttun. Das hat sie schon 1998 erlebt, als Frankreich im eigenen Land Weltmeister wurde. Das erwartet sie auch, wenn Frankreich am Sonntag im Stade de France den Europameistertitel holt. Das Land habe ein schweres Jahr hinter sich: die Attentate von Paris, die hohe Arbeitslosigkeit, die vielen Streiks, die das öffentliche Leben immer wieder lahmlegen. „Ein Sieg würde sicher für bessere Stimmung sorgen.“
Auch wenn sie bei aller Fußballbegeisterung ihre Probleme mit der kommerziellen Verpackung der Sportart hat. Dass die Nationaltrikots noch nicht mal in Europa gefertigt werden, ärgert sie zum Beispiel: „Der Fußball könnte durchaus auch für ein paar Werte stehen und sie vermitteln.“