Poträt Als Michael Jackson in Stommeln war

Köln/Pulheim · Wer im beschaulichen Pulheimer Stadtteil Stommeln auf der Hauptstraße unterwegs ist, ahnt nicht, welch große Musikgeschichte sich hinter der Hausnummer 33 verbirgt. Weltstars wie Michael Jackson, Tina Turner oder die Scorpions waren in dem kleinen Ort vor den Toren der Großstadt Köln zu Gast und produzierten in den legendären Studios von Dieter Dierks ihre Musik.

Dieter Dierks in seinem Büro in Stommeln. In seiner Karriere hat er viele Alben mit Gold- und Platinstatus produziert.

Foto: step/Eppinger

„Ich bin schon als Kind mit Musik groß geworden. Wenn mein Vater an meinem Bett stand und mit seiner Geige geübt hat, war ich immer ganz ruhig. Das hat wohl auch schon damals mein Gehör geschult“, sagt der Musiker, Tonmeister, Produzent, Verleger und Studiobetreiber, der morgen seinen 80. Geburtstag feiert.

Ursprünglich wollte Dierks Filmregisseur werden

Trotzdem hatte Dierks zunächst einen anderen Beruf im Blick: „Ich wollte Filmregisseur werden und habe Theaterwissenschaft studiert und eine Schauspielschule besucht. Um später als Regisseur den Leuten sagen zu können, was sie zu tun haben, wollte ich diesen Beruf zunächst beherrschen“, sagt der 79-Jährige, der unter anderem beim ehemaligen Burgtheater-Intendanten Gerhard Klingenberg als Regieassistent gearbeitet hat.

Die Musik verliert Dierks nie ganz aus dem Blick. So gründet der Gitarrist und Bassist Ende der 60er Jahre mit Tommy Engel und Frieder Viehmann die Band Hush und baut sich unter dem Dach im elterlichen Haus sein erstes Tonstudio. „Das war so klein, dass man in den Regieraum kriechen musste. Die Mikros hingen von der Decke herab. Auf dem Boden hätten wir dafür keinen Platz gehabt.“

Zu den ersten Kunden gehören türkische Musiker, die extra aus Istanbul eingeflogen worden sind. Später baut Dierks auf dem Hof des elterlichen Anwesens in Stommeln sein erstes größeres Studiogebäude. Das angrenzende Wohnhaus wird zum Studiohotel, sodass die Musiker vor Ort arbeiten und leben konnten.

Den ersten Hit landet der Produzent mit „Loop Di Love“. „Der Ursprung war ein griechisches Fischerlied, das ich als englische Version aufnehmen sollte. Den Text dafür habe ich direkt selbst geschrieben und den Song mit Jay Bastos als Sänger aufgenommen. Leider waren die Auftraggeber zunächst nur wenig begeistert. Aber niederländische Piratensender waren bereit, den Song zu spielen, der binnen einer Woche auf Platz 1 ging. Heute gibt es 187 Coverversionen davon. Das war ein echter Zufallserfolg. Damals hatte ich noch nicht viel Ahnung vom Produzieren.“

Das eigene Musikmachen gibt Dierks schon bald weitgehend auf: „Ich habe gesehen, dass andere Musiker den Bass besser beherrschen als ich. So habe ich mich auf Produzieren verlegt. Nur bei der Percussion hatte ich immer viel Spaß und so bei der einen anderen Band auch mal mitgespielt.“

Stommeln wird ab den 70er Jahren der Anziehungspunkt für Musiker. Vor allem die Krautrock-Bands werden auf Dieter Dierks als Produzenten aufmerksam. „Als das Studiogebäude noch weitgehend ein Rohbau war, habe ich mit der Formation Ihre Kinder gearbeitet. Die haben hier in den Schlafsäcken übernachtet. Nur das Studio im Keller war fertig. Der Kontakt zu den Musikern entstand durch Mund-zu-Mund-Propaganda. So entstand auch die Zusammenarbeit mit Rolf-Ulrich Kaisers ein seinen Cosmic Jokers.“ Schon bald gehört auch der Jazzmusiker Klaus Doldinger mit seiner Band Passport zu den treuen Kunden von Dierks.

Unterstützung kommt neben den Freunden im Team vor allem von Dierks Mutter: „Sie war die gute Seele hier in den Studios. Es gibt wohl keine Mutter, die so viele Credits auf Alben hat, wie das bei ihr der Fall war. So gab es Dank für ihren Strammen Max und die nächtliche Küche für die Musiker. Als Ike und Tina Turner hier waren, saß meine Mutter mit Tina morgens beim Frühstück in der Küche, während ich mit Ike im Studio gearbeitet habe. Beide haben sich bestens verstanden, obwohl meine Mutter kein Englisch und Tina kein Deutsch konnte.“

Mit dem mobilen Studio unterwegs mit den Rolling Stones

Für Dieter Dierks, der in Sachen Technik immer so innovativ wie auch kreativ war, wurde ab Mitte der 70er Jahre das erste mobile Studio zum großen Erfolg. „Das haben wir in einen alten Möbelwagen eingebaut. Das dazugehörige Mischpult haben wir damals selbst konstruiert. Da gab es hier im Hof auf einem langen Tapeziertisch mit meinen Freunden Löten am Fließband. Doch kein Klang war derart sauber und direkt wie von unserem selbst gebauten Mobile 1.“

Zu den ersten Kunden gehörte U2, die im Rahmen des WDR-Rockpalastes bei einem Festival aufgetreten sind. „Die Band hat später die Aufnahmen angefordert und so wurden diese Teil eines Livealbums. Mit dem WDR haben wir oft zusammengearbeitet. Viele Musiker wie Al Jarreau, Fats Domino, Chicago oder auch Santana haben sich vor dem Auftritt hier bei uns in Stommeln warm gespielt.“

Mit dem Mobile 2 erlebt Dieter Dierks 1991 eines der Highlights seiner langen und erfolgreichen Karriere: „Der Wagen wurde eigentlich von Peter Maffay gebucht, der später abgesagt hat. Genau für diesen Zeitpunkt kam kurz später die Anfrage der Rolling Stones, die für ihre Tour „Urban Jungle“ einen solchen Wagen gesucht haben. Mit der Band war ich dann in ganz Europa unterwegs. Das sind einfach tolle Typen, die den Rock‘n‘Roll vorgelebt haben.“

Der Kontakt zu einem anderen Superstar entsteht 1996 über ein paar Ecken: „Ich habe für Stevie Wonder gearbeitet und dabei einen guten Kontakt zu seinem musikalischen Leiter gehabt. Er hat später dem Management von Michael Jackson den Tipp gegeben, als er ein Studio für seinen Song ‚Ghosts“ gesucht hat. Er war hier in Stommeln und wir waren total von seiner Disziplin beim Arbeiten und seiner angenehmen Ausstrahlung begeistert. Nur die Bodyguards haben wir bei uns der Kantine geparkt, damit das Gastspiel hier im Dorf nicht so aufgefallen ist. 1997 war ich dann noch mit dem Wagen bei den Open Airs der ‚History‘-Tour im Münchener Olympiastadion vor Ort.“

Lange war Dierks der Produzent der Scorpions, die über viele Jahre zu den Stammgästen in Stommeln gehörten. „Es gab 1973 eine Anfrage für diese Nachwuchsband, weil sie mit ihrem Album nicht vorangekommen ist. Ich wollte sie aber zunächst live sehen. Das war bei einem Konzert mit 50 Leuten in einer Essener Turnhalle. Da haben die Scorpions ihre professionelle Einstellung bewiesen. Das hat mich beeindruckt.“

Mit Dieter Dierks kommen
die Scorpions in die USA

Unter der Regie von Dierks gehen die Plattenverkäufe direkt von 8000 auf 8000 Alben hoch. Die Erfolgsgeschichte der Niedersachsen beginnt. „Das erste Budget war ziemlich mager. Damit habe ich aber die Scorpions in die USA gebracht. Eine Tour nach Japan habe ich selbst finanziert und dafür einen Kredit aufgenommen. Das war ein großes Wagnis, für das meine Mutter mit ihrem Haus gebürgt hat. Aber es hat sich gelohnt.“

Dass in den Dierks Studios Superstars ein und aus gegangen sind, hat bei den Nachbarn in Stommeln übrigens nie zu Problemen geführt. „Da wurde schon mal von den Jecken oben bei Dierks gesprochen. Aber das Verhältnis war immer gut. Herbert Grönemeyer konnte genauso unbehelligt in die Kneipe gehen wie Rory Gallagher“, sagt Dierks, der sich aktuell bei seinem Projekt „Music against War“ mit Blick auf den Ukraine-Krieg für den Frieden engagiert. „Unser Ziel ist es, unseren Song in 20 Sprachen aufzunehmen. Die kölsche Version haben die Höhner eingesungen, heute Mittag kommt Peter Orloff für den russischen Text.“