Sport Eine Schaukel als Ort für Träume

Köln · Die von ihrem Vater im heimischen Garten gebaute Schaukel war für die frühere Hochspringerin und Olympiasiegerin Heike Henkel immer ein ganz besonderer Ort. „Die Schaukel war für mich ein Ort zum Nachdenken, zum Pläne zu schmieden und zum Träumen.

Im Deutschen Sport- und Olympiamuseum hat Heike Henkel ihre Biografie vorgestellt.

Foto: step/Eppinger

Ich habe das Kribbeln im Bauch genossen, wenn es mit der Schaukel hoch hinaus ging und ich mich für einen kurzen Moment schwerelos gefühlt habe. Das war ein Gefühl, dass ich später auch beim Hochsprung hatte“, erinnert sich die gebürtige Kielerin.

Schon als Kind nutzte sie jeden Moment, um dem einengenden Kinderwagen zu entfliehen. „Hauptsache in Bewegung und draußen war schon damals mein Lebensmotto“, berichtet die Leichtathletin, die im Deutschen Sport- und Olympiamuseum in Köln am Donnerstagabend im Vorfeld der Olympischen Spiele in Paris ihre Biografie „Absprung im richtigen Moment“ vorgestellt hat. Auf dem Buchcover findet sich die kleine Heike auf der Schaukel, die ihr so viel bedeutet hat.

Als Schülerin zu Besuch im Berliner Olympiastadion

Ihre sportliche Karriere startet Henkel im heimischen Turnverein. „Turnen war aber nichts für mich. Das habe ich auch gemerkt, als ich mich mit der Schulmannschaft bei ‚Jugend trainiert für Olympia‘ beim Landesentscheid für Berlin qualifiziert habe. Das Olympiastadion war zwar leer, aber ich habe mir vorgestellt, wie es sich anfühlt, wenn es voll ist. Das hat mich damals sehr beeindruckt. Hochsprung war die Sportart, die mir gefallen hat. Zum Training hatte ich aber einen eher entspannten Eindruck, was mir den Spitznamen ‚Schlaraffiatiger‘ eingebracht hat.“

In Kiel holt Henkel 1980 ihren ersten deutschen Jugendmeistertitel und schaffte es vier Jahre später, sich für die Olympischen Spiele in Los Angeles zu qualifizieren, wo ihr Traum vom vollen Stadion wahr wird. „Dort hatten wir ein tolles Publikum, das uns zugejubelt hat. Ich wollte mich um jeden Preis für das Finale qualifizieren, was ich auch geschafft habe. Im Finale kam ich auf den elften Platz und habe miterlebt, wie Ulrike Meyfarth mit 2,02 Meter Gold holt. Da gab es eine Stimme in mir, die gesagt hat, das schaffst Du auch. So habe ich damals schon vom Podest geträumt.“

1985 wechselt Heike Henkel von Kiel nach Leverkusen, wo sie bei Bayer von Gerd Osenberg trainiert wird, der schon Heide Rosendahl und Ulrike Meyfarth zum Olympiasieg gebracht hat. Zunächst bekommt die junge Leichtathletin bei ihren großen Ambitionen aber einen Dämpfer verpasst, denn bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul läuft nichts so wie geplant.

„Ich bin mit viel Enthusiasmus nach Südkorea gereist und hatte das Treppchen als Ziel. Dann kam ich im olympischen Dorf mit seinen Hochhäusern an und fühlte mich echt verloren. Am ersten Wettkampftag hatte ich dann meine Akkreditierung vergessen und musste noch einmal zurück. Im Stadion war alles anders, die Leute haben nicht gejubelt und es hat Fisch gerochen - den essen die Südkoreaner gerne zum Frühstück. Auch der Anlauf funktionierte nicht wie geplant und letztlich konnte ich mich nicht für das Finale qualifizieren.“

Zunächst zieht sich die Hochspringerin todtraurig in ihr Zimmer zurück. „Nachdem ich geschlafen hatte, habe ich das Ganze dann aber abgehakt und hatte Lust zu feiern. Die letzten Tage in Seoul konnte ich so doch noch genießen und ich wusste, das passiert dir nicht noch einmal“, sagt Henkel, die damals das mentale Training für sich entdeckt und so den Grundstein für ihre spätere Karriere legt. „Ich habe mir dann immer die Abläufe visualisiert, die Zahlen vorgestellt und bin im Kopf erstmals über die zwei Meter gesprungen.“

Real gelingt ihr das 1989 beim Sportfest im Müngersdorfer Stadion in Köln. „Da bin ich als Kielerin wirklich im Rheinland angekommen. Ich habe in dieser Zeit auch meinen späteren Mann Rainer Henkel kennengelernt, der damals schon Schwimmweltmeister war. Auch das hat mich weiter motiviert“, erinnert sich Henkel, die 1992 mit 2,07 bei den Deutschen Meisterschaften in Karlsruhe den Hallenweltrekord knackt, nachdem sie 1991 in Tokio schon den Weltmeistertitel geholt hatte. „Ich hatte den Weltrekord gar nicht so im Blick, ich wollte einfach nur höher springen als bisher. Ich habe das Hochsteigen, Fliegen und die kurze Schwerelosigkeit beim Hochsprung immer genossen, das war ein sagenhaftes Gefühl.“

1992 nimmt Henkel dann erneut das Podest bei den Olympischen Spielen ins Visier, auch wenn das Sportjahr für sie mit Schmerzen an der Achillessehne nicht optimal beginnt. „Am ersten Wettkampftag am 8. August 1992 habe ich mich in Barcelona aber topfit gefühlt, auch im vollen Stadion hat alles gestimmt. Die Stimmung war bestens.“

Einen besonderen Moment erlebt Henkel beim Aufwärmen im Stadion. „Ich habe mich kurz auf eine Massagebank gesetzt, um zur Ruhe kommen. Dann hat vor mir im Gras plötzlich etwas in der Sonne geglitzert. Es war eine goldene 25-Peseten-Münze, die einen Hochspringer gezeigt hat. Das war mein Glücksbringer“, erklärt Henkel, die das Loch in der Mitte der Münze nutzt, um diese an ihrem Akkreditierungsband zu befestigen.

Bei der Qualifizierung wird es dann noch einmal spannend, da Henkel zweimal an der Höhe von 1,97 scheitert. „Da kamen die Bilder von Seoul noch einmal in mir hoch. Aber ich wusste, ich bin nicht hierhergekommen, um wieder nach Hause zu fahren. Dann musste ich warten, da der 5000-Meter-Lauf mit Dieter Baumann unseren Anlauf gekreuzt hat und habe danach aber die Höhe geschafft. Das war für mich der entscheidende Moment“, sagt Henkel, die später mit 2,02 Meter olympisches Gold holt und so in ihren Olympiahimmel springt.

„Das war für mich ein Gefühl wie damals als Kind auf der Schaukel“, berichtet Heike Henkel von ihrem großen Gänsehautmoment und zeigt ihren Zuhörern in der Olympialounge des Kölner Museums neben dem weißen Trainingsanzug und der Akkreditierung von 1992 auch ihre Goldmedaille von Barcelona.