Porträt „Es macht mir Freude, vergessenen Gegenständen Leben einzuhauchen“
Köln · Paolo Carillon ist in außergewöhnlicher Clown. Bei ihm geht es nicht um die lauten Lacher, sondern um die leisen Töne voller Poesie und Anmut. Wenn er mit seinem selbst gebauten Fahrzeug in die Manege kommt, legt sich ein Zauber über das Publikum im weiten Rund des Roncalli-Zirkuszeltes.
Dabei setzt Carillon auf ganz einfache Dinge, wie zum Beispiel Seifenblasen, in denen er schon mal einen kleinen Clownfisch schwimmen lässt. Nur auf die Sprache verzichtet er ganz und erzählt seine Geschichten ausschließlich durch die Musik, durch Bewegungen, Gesten und durch seine Mimik.
Dabei ist der Aufwand, den der aus dem Norden Italiens stammende Carillon für seinen Auftritt betreibt, enorm. Seine Requisiten baut er selbst, die Kostüme schneidert seine Frau Tonia und die Musik wird extra für ihn von Paolo Mosele komponiert. „Für die sieben Minuten in der Manege habe ich gut anderthalb Jahre Vorbereitungszeit gebraucht. Die besten Ideen habe ich nachts, deshalb liegt neben meinem Bett immer ein Notizbuch und ein Stift“, sagt der Mann, der mit bürgerlichen Namen Paolo Casanova heißt.
Inspirationen für seine Requisiten, das Kostüm und die Fahrzeuge findet er oft auf Flohmärkten und Trödelläden, aber auch in Spielzeuggeschäften. „Es macht mir Freude, alten, vergessenen Gegenständen Leben einzuhauchen und ihnen so eine neue Chance zu geben. Den Kölner Neumarkt habe ich durch den Flohmarkt kennengelernt. Damals habe ich als junger Industriedesigner mit Anfang 20 für Ford gearbeitet und eine Zeit lang in Köln gelebt“, erinnert sich Carillon, dessen Künstlername aus dem Italienischen übersetzt „Grammofon“ bedeutet.
Als Industriedesigner hat Paolo Casanova für bekannte Hersteller wie Jaguar, Ford, Ducati und Yamaha Autos und Motorräder entworfen. „Ich mag es sehr, kreativ zu sein und die Kraft der Kreativität zu spüren. Jetzt in der Corona-Zeit, in der keine Auftritte im Zirkus möglich waren, habe ich als Freelancer von meinem Haus in Norditalien aus, wieder in meinem alten Beruf gearbeitet und das Design für Motorräder von Ducati und Yamaha mit entwickelt. Ich habe immer noch viele Kontakte in der Branche“, sagt der Mann, der sich bei seinen Auftritten in der Manege in einen schillernden Steampunk verwandelt.
„Die Pandemie mit ihren Lockdowns war für uns alle im Zirkus eine sehr harte Zeit. In Italien war für zwei Jahre alles zu. Jetzt geht es Stück für Stück wieder los und man sieht endlich Licht am Ende des Tunnels. Ich habe die Zeit genutzt, um mir neue Dinge für meine Auftritte auszudenken. Die aktuelle Nummer ist aber bis auf kleinere Modifikationen gleichgeblieben“, sagt Casanova, zu dessen Vorbildern Charlie Chaplin und Buster Keaton genauso gehören wie Frederico Fellini und Tim Burton.
Erstmals an seiner Seite ist in der Manege Tochter Noemi, die unter ihrem Künstlernamen Nox ein sehr emotionales Lied singt. „Meine erste Berührung mit Roncalli hatte ich, als ich dort bei den Requisiten mitgeholfen habe. Auch im Zirkuscafé habe ich gearbeitet. Ich möchte weiter im Zirkus arbeiten, aber mein Hauptziel ist es, eine Sängerin zu werden. Das Genre ist dabei nicht so wichtig. Mir geht es vor allem darum, durch meine Lieder Gefühle zu transportieren, die das Publikum berühren. Mit meinem Vater zu aufzutreten, bringt mir viel Spaß, auch wenn er immer alles ganz perfekt haben will und alles kontrolliert. Wenn wir uns nach dem gemeinsamen Auftritt umarmen, fließt schon mal eine Träne. Wir haben beide einen sehr ähnlichen Charakter“, sagt Noemi, die privat gerne die etwas melancholische Musik des italienischen Popsängers Michele Bravi hört.
Als Clown ist Carillon bereits seit 2016 bei Roncalli. „Mit Bernhard Paul habe ich mich auf Anhieb verstanden. Wir haben das gleiche Gefühl und die gleiche Leidenschaft, alte Dinge zu sammeln. Und ich mag genauso wie er die Beatles. Seine Sammlung hier in Köln ist wirklich beeindruckend. Ich fühle mich sehr wohl hier und mein Charakter als Carillon passt sehr gut zu Roncalli und zur poetisch, nostalgischen Geschichte, die dieser Zirkus in der Manege erzählt.“
Die intensive Gemeinschaft der Artisten beim Circus Roncalli, zu der auch Menschen mit ukrainischen und mit russischen Wurzeln zählen, lässt sich vom Kriegsgeschehen in der Ukraine nicht erschüttern: „Das, was da passiert, macht mich und die anderen sehr traurig. Aber wir sind alle Freunde, Brüder und Schwestern. Wir sind einfach Menschen, da spielt die Nationalität keine Rolle. Wir denken nicht in Nationen, wir sind ein Team, das immer zusammenhält.“
Service Der Circus Roncalli ist noch bis zum 22. Mai auf dem Kölner Neumarkt zu Gast. Die Karten kosten zwischen 12 und 76 Euro und sind an der Kasse auf dem Neumarkt (montags 10-12 und 13-18 Uhr, dienstags bis freitags 10-20 Uhr sowie sonn- und feiertags 10-18 Uhr) sowie unter Telefon 0221/96494260 erhältlich. Vorstellungen: dienstags bis freitags 15.30 und 20 Uhr, samstags 15 und 20 Uhr sowie sonntags 14 und 18 Uhr (am 22. Mai: 11 und 15 Uhr). Weitere Informationen finden sich online unter: