Geschichte Neuer Blick auf die politische Elite der Stadt
Köln · Für Dr. Werner Jung, den früheren Direktor des Kölner NS-Dokumentationszentrums schließt sich mit diesem Buch ein Kreis in seiner beruflichen Laufbahn. 1986 begann Jung als wissenschaftlicher Mitarbeiter des sich allmählich im Aufbau befindlichen NS-Dok seine Arbeit im Stadtarchiv.
„Am ersten Tag meiner Dienstzeit bekam ich dort einen Karteikasten mit Daten zu den Stadtverordneten überreicht. Ich sollte herausfinden, welche Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung in der NS-Zeit ermordet worden sind. Am Ende waren es elf Namen, die ich während der zweijährigen Recherche ermitteln konnte“, erinnert sich der Historiker.
Im Frühjahr 1989 wird im Rathaus eine Gedenktafel angebracht, auf diese elf Namen aufgeführt werden. „Damit war das Projekt eigentlich beendet. Mitte der 90er begannen jedoch im Historischen Archiv unter dem damaligen Direktor Dr. Everhard Kleinertz die Forschungen zu einem biografischen Lexikon zum Kölner Rat in den Jahren 1794 bis 1919. Der von Thomas Deres bearbeitete Band ist 2002 erschienen“, sagt Jung.
Er selbst hatte Mitte der 90er Jahre ebenfalls mit der Arbeit für den zweiten Band für die Zeit zwischen 1919 und 1945 begonnen. Die vorhandenen Daten wurden in eine Datenbank eingegeben. Allerdings nahm die Arbeit im EL-DE-Haus zu und die Zeit für das aufwendige Projekt wurde weniger. 2002 übernahm Jung zudem als Direktor die Leitung des NS-Dok. „Ich freue mich nun, dass ich dieses Forschungsprojekt, mit dem ich in den allerersten Tagen meiner Tätigkeit im Stadtarchiv bzw. im NS-Dokumentationszentrum betraut wurde, nun – immerhin über 35 Jahre später – in den letzten Tagen meiner Berufstätigkeit abschließen kann.“
Das Potenzial in der Weimarer Zeit wurde nicht genutzt
Im jetzt veröffentlichten Lexikon sind für die Stadtverordnetenversammlung 355 Personen und für den nationalsozialistischen Rat 65 Personen erfasst. 23 Personen waren sowohl Stadtverordnete als auch Ratsmitglieder, sodass der Band insgesamt 397 Mitglieder der politischen Elite Kölns erfasst. „Wir haben bei diesem Lexikon einen kollektivbiografischen Ansatz verfolgt. Es bietet viele Hinweise für die weitere Forschung etwa in Examensarbeiten oder Dissertationen.“
Die Stadtverordnetenversammlung markiert 1919 einen grundlegenden Neuanfang. Es war die Abkehr von der Honoratiorengesellschaft der Kaiserzeit mit ihrem Drei-Klassen-Wahlrecht. Erstmals waren Frauen und alle vorhandenen politischen Strömungen im Gremium vertreten. Dort fanden sich christliche Gewerkschaftsfunktionäre genauso wieder wie sozialistische Betriebsratsvorsitzende. Unternehmer sowie Geschäftsführer großer Banken und Industriebetriebe gehörten zur Stadtverordnetenversammlung, in der auch Verbände und Innungen vertreten waren. „Im Gremium war die gesamte politische und wirtschaftliche Elite Kölns vertreten. Genutzt wurde dieses Potenzial kaum, was vor allem am sehr mächtigen Oberbürgermeister Konrad Adenauer lag.“
Erfasst wurde auch, wie lange die Mitglieder im jeweiligen Gremium vertreten waren. Die Wahlperiode in der Stadtverordnetenversammlung betrug fünf Jahre. Viele Verordnete blieben aber deutlich unter dieser Zeit. „Es gab eine hohe Fluktuation. Manche war nur einige Monate vertreten. Viele Mitglieder waren gleich in mehreren Gremien wie dem Reichstag oder dem Preußischen Landtag. Einige wie Wilhelm Sollmann oder Karl Müller waren zudem auch Reichsminister.
Insgesamt 13 Stadtverordnete wurden in der NS-Zeit ermordet. Hier haben die Forschungen zum Lexikon zwei weitere Namen hervorgebracht. „In der Versammlung waren aber auch die Täter vertreten“, berichtet Jung. Das gilt zum Beispiel für den Firmenbesitzer Friedrich Boos, der Konzentrationslager mit Heizungs- und Belüftungsanlagen für deren Gaskammern beliefert hat. Er gehörte später auch dem NS-Rat an.
Im vom NS-Regime eingesetzten Rat war es dann die Funktionselite der Nationalsozialisten, die das Gremium dominierte und zu der auch hochrangige Vertreter von SS und SA gehörten. „Der Rat hatte zwar nichts mehr zu sagen, aber seine Mitglieder waren nicht unbedeutend. Oft wurden auch alte Kämpfer der Partei ausgezeichnet, indem sie in den Rat aufgenommen wurden“, erklärt Jung. Frauen waren übrigens in diesem Gremium nicht zugelassen.
Spannend und oft auch überraschend ist in den Kurzbiografien des Lexikons zudem der politische Wandel in der Lebensgeschichte, die über die reine Mandatszeit hinausgeht. Das zeigt sich in den Parteizugehörigkeiten. So gab es Biografien von DNVP-Mitglieder, die in die NSDAP kommen und später zu FDP-Mitgliedern werden. Auch der Weg vom Zentrum über die NSDAP bis zur CDU ist in Köln vertreten. Es gibt aber auch Sozialdemokraten oder Kommunisten, die sich in der NSDAP wiederfinden.
Der Kölner Rat, Biografisches Lexikon, Band 2: 1919-1945, bearbeitet von Werner Jung und herausgegeben vom Historischen Archiv und dem NS-Dokumentationszentrum, 360 Seiten, 15 Euro.