Gedenken „Birlikte“: 20 Jahre nach dem Terror

Köln · Am 9. Juni 2004 kam der rechte Terror in den Kölner Stadtteil Mülheim. Um 16 Uhr detonierte vor einem Friseursalon in der Keupstraße eine Nagelbombe der rechtsextremen Terrorgruppe NSU. 22 Menschen wurden damals verletzt, vier davon schwer.

Am 9. Juni 2004 verübte die rechtsextreme Terrororganisation NSU den Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Bis heute sind die Wunden bei den Betroffenen und Opfern vor Ort noch sehr tief und schmerzhaft.

Das dürfte auch daran liegen, dass die Polizei zunächst jahrelang nur gegen die Anwohner in der Keupstraße ermittelt hat und so aus unschuldigen Opfern plötzlich Täter machte. Dabei waren, wie sich sieben Jahre später herausstellte, zwei Mitglieder des selbsternannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“, kurz NSU, für die menschenverachtende Tat verantwortlich. So wurde in der Keupstraße Misstrauen und Isolation erzeugt, ein Zustand der bei vielen Menschen bis heute anhält.

Die Betroffenen leiden bis heute unter den Ereignissen von 2004

„Wir fühlen uns vergessen. Die Unterstützung und psychologische Hilfe, die wir dringend gebraucht hätten, haben wir nie bekommen. Wir wurden nicht an die Hand genommen, es gab nur Lippenbekenntnisse“, klagt eine Anwohnerin, die den verheerenden Anschlag überlebt hat. Neben dem Mahnmal am Ort des Anschlags wird an der Keupstraße auch ein Begegnungszentrum gefordert, in dem sich die Menschen treffen, vernetzen und austauschen können.

Schon vor zehn Jahren wurde rund um die Keupstraße mit dem großen Straßen- und Kulturfest „Birlikte“ an den NSU-Terror und seine Opfer gedacht. Mehr als 70.000 Menschen kamen damals in den Stadtteil, darunter Musikstars wie Peter Maffay und Udo Lindenberg. Jetzt, 20 Jahre nach dem Nagelbombenanschlag, wird es in Mühlheim am 9. Juni erneut eine große Gedenkveranstaltung geben, zu der sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angekündigt hat.

Das Motto „Birlikte“ heißt übersetzt „zusammen“ und „gemeinsam“ und steht symbolisch für den Zusammenhalt von Menschen unterschiedlicher Kulturen und den Wunsch, eine menschenfreundliche, friedliche und gleichberechtigte Form des Zusammenlebens zu finden. „Birlikte ist der Versuch, das Gedenken und das Bemühen um die Zukunft gleichsam unter einen Hut zu bringen“, sagt der Intendant des Kölner Schauspiels, Stefan Bachmann, der vor zehn Jahren zu den Initiatoren und den Ideengebern des Festivals gehörte.

„Birlikte ist ein Appell zusammenzustehen, weil sich das, was vor 20 Jahren passiert ist, niemals wiederholen darf. Birlikte beschreibt aber auch die heterogene Kölner Stadtgesellschaft, die sich aus Menschen aus mehr als 180 Nationen zusammensetzt. Alle sind Köln, hier steht niemand am Rand. Gerade in Zeiten, in denen Extremismus unsere Demokratie in Gefahr bringt, müssen wir alle in der Gesellschaft miteinbeziehen und uns mit Achtung begegnen“, erklärt Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

Das Mahnmal für das Gedenken an den Terroranschlag in der Keupstraße wird der Öffentlichkeit erstmals am 9. Juni präsentiert. Das geschieht im Foyer des Schauspiels im Depot, wo in einer Ausstellung eine Vorabversion des digitalen Teils des Mahnmals gezeigt wird. Später soll das „reale“ Denkmal nach einem langen Prozess direkt am Ort des Attentats, vor dem Friseursalon in der Keupstraße, seinen würdigen Platz finden. „Hier dauert die Umsetzung derzeit noch an“, sagt Reker.

„Bei Birlikte wird am 9. Juni überall im Bereich der Keup- und der Schanzenstraße sowie auf dem Carlswerkgelände etwas los sein. Es wird genauso eine große Konzertbühne geben wie kleine Acts und ein buntes Hinterhoftreiben. Ich glaube, man kann an diesem Tag unglaublich viel erleben“, sagt Bachmann und appelliert gleichzeitig, am Tag der Europawahl seinen demokratischen Pflichten nachzukommen: „Erst wählen und dann zu Birlikte kommen.“

Erste Veranstaltungen wird es schon am Vorabend geben. So sind zum Beispiel eine Dinnerperformance rund um den Carlsgarten genauso wie eine theatrale Busreise in die Vergangenheit geplant. Zur Aufführung im Depot kommt auch die Theaterproduktion „Die Lücke 2.0 - ein Stück Keupstraße“. Angeboten werden zudem abendliche Führungen über die Keupstraße.

Am Sonntag werden ab 14 Uhr viele bekannte Künstler auf der Open-Air-Bühne an der Schanzenstraße stehen. Das Programm wird vom Jugendchor St. Stephan eröffnet. Später folgen unter anderem Kasalla, Eko Fresh, die Paveier, die Bläck Fööss, Memoria, Chefket, Comedian Negah Amiri, Musiker Ata Canani, Caroline Kebekus mit ihren Beer Bitches, Ensemble-Mitglieder der Stunksitzung, die Kabarettisten Jürgen Becker und Wilfried Schmickler, Sebastian Krumbiegel und Brings.

Auf der Open-Air-Bühne Keupstraße stehen unter anderem ein interkultureller Chor, ein interreligiöses Gebet, Interviews mit den Betroffenen des Anschlags, eine Performance zum geplanten Mahnmal und Erfahrungsberichte von jungen Menschen zum Thema Rassismus auf dem Programm. Dazu kommen an verschiedenen Orten Filme, Lesungen, Musik-Acts, Ausstellungen und Podiumsdiskussionen sowie der Markt der Möglichkeiten auf dem Platz vor dem Bastei Lübbe Verlag mit verschiedenen Informationsständen. Weitere Informationen zum gesamten Programm von „Birlikte“ gibt es online unter: