Acht Jahre nach dem Einsturz Stadtarchiv Köln - Die offene Wunde im Herzen der Domstadt

Zwei Menschen sterben im März 2009. Der materielle, aber auch der ideelle Schaden ist enorm.

Ein Kranwagen steht im Februar in der Einsturzstelle des Kölner Stadtarchivs. Foto/Archiv

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Köln. „Das Gedächtnis der Domstadt ist nur noch ein Schutthaufen“ — so lautete am 4. März 2009 die Schlagzeile dieser Seite unserer Zeitung. Etwas Unfassbares war passiert. Einen Tag zuvor, am 3. März, war um 13.58 Uhr das Kölner Stadtarchiv eingestürzt. Das viergeschossige Gebäude in der Stadtmitte stürzte innerhalb von Augenblicken in sich zusammen und riss zwei weitere Gebäude mit.

Einen Tag nach dem Einsturz klaffte ein riesiger Krater im Herzen der Stadt. Foto/Archiv

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Rettungskräfte suchten fieberhaft nach vermissten Menschen. Schließlich mussten zwei Tote (17/24) geborgen werden. Augenzeugen fühlten sich an den verheerenden Terror-Anschlag in New York erinnert. „Die komplette Kreuzung war in dunklem Nebel. Das sieht hier aus wie am 11. September 2001“, sagte eine Anwohnerin betroffen. Dass es nur drei Vermisste gab, war der Tatsache geschuldet, dass sich der Einsturz des Gebäudes durch Geräusche angekündigt hatte.

Schnell geriet eine darunterliegende Baustelle der geplanten U-Bahn-Linie ins Visier von Ermittlungen. Haben die Erdarbeiten den Einsturz ausgelöst? Diese Frage ist bis heute nicht geklärt. Der Gutachter Hans-Georg Kempfert, der im Auftrag des Landgerichts Köln federführend die Untersuchungen zur Erkundung der Schadensursache leitet, war bereits unmittelbar nach dem Unglück an Ort und Stelle. Nach der Bergung von 95 Prozent der Archivarien ließ Kempfert ein sogenanntes Besichtigungsbauwerk errichten.

„In diesem Schacht werden die erforderlichen Arbeiten unter Wasser ausgeführt. Hierbei entfernen Taucher nach und nach das Erdreich und führen diverse Untersuchungen durch. Ziel ist es, die ab einer Tiefe zwischen 25 bis 33 Meter unter der Geländeoberfläche vermutete Fehlstelle freizulegen“, sagt eine KVB-Sprecherin. Aktuell prognostiziert Kempfert, dass „wesentliche Erkenntnisse bis Ende 2017/Anfang 2018 vorliegen“. Dann soll die Einsturzursache geklärt sein. Darauf wartet auch die Staatsanwaltschaft.

„Wenn es bis zum 2. März 2019 kein erstinstanzliches Urteil gibt, verjährt das Ganze“, sagt ein Sprecher. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung und Baugefährdung gegen 94 Beschuldigte.

Mehr als tausend Jahre alte Zeugnisse der bewegten Vergangenheit des Landes und ganz Europas schienen nach dem Unglück unwiederbringlich verloren. Das Stadtarchiv beherbergte 30 Regalkilometer umfassende Bestände, darunter 62 000 Urkunden und Testamente sowie knapp 2000 Handschriften. Originale von Albertus Magnus, Napoleon Bonaparte, Jacques Offenbach, Giuseppe Verdi, Karl Marx, Heinrich Böll und Konrad Adenauer waren in der Severinstraße untergebracht. Mit einem Kraftakt bargen Feuerwehr, Hilfsorganisationen, unzählige Freiwillige und Archivmitarbeiter innerhalb nur eines halben Jahres 85 Prozent der Bestände.

„Bis jetzt konnten mehr als 1,1 Millionen Bergungseinheiten erfasst werden“, sagte ein Stadtsprecher. Wobei eine Bergungseinheit eine ganze Akte sein kann oder nur ein Einzelblatt. Ihre Gesamtzahl wird auf 1,725 Millionen geschätzt. Von den bisher erfassten Bergungseinheiten konnten laut Sprecher „rund zwei Drittel zumindest wieder einem Bestand zugeordnet werden“. Bis die Arbeit abgeschlossen ist, werden Jahrzehnte vergehen, so der Sprecher.

Alleine die Kosten für die Restaurierung der Archivalien werden auf bis zu 400 Millionen Euro geschätzt. Der Gesamtschaden, der durch den Einsturz des Kölner Stadtarchivs entstanden ist, beläuft sich auf 1,2 Milliarden Euro.

Der Neubau des Historischen Archivs soll bis Ende 2019 am neuen Standort Eifelwall entstehen. Die Übergabe des Gebäudes an das Archiv ist für Anfang 2020 geplant. Zunächst findet nach einigen Vorarbeiten am 17. März die Grundsteinlegung statt.