OHV-Dirigent im Interview: „Warum mache ich das nicht mehr?“
OVH-Dirigent Johannes Stert über seinen Abschied, Erinnerungen und die Zukunft des Orchesters.
Burscheid. 1990 übernahm ein junger Dirigent den Orchesterverein Hilgen (OVH). Er hieß Johannes Stert. Am Sonntag, 24 Jahre später, verabschiedet sich ein grauhaariger Dirigent vom OVH. Er heißt noch immer Johannes Stert. Ein Gespräch über ein halbes Leben an der Seite eines außergewöhnlichen Blasorchesters.
Herr Stert, wie erleben Sie die ersten Monate als Waldorf-Lehrer in Stuttgart?
Johannes Stert: Als sehr spannend und als große Herausforderung. Besonders, weil meine Frau derzeit ein Engagement in Freiburg hat, unsere Kinder eine neue Schule und ich einen neuen Job, dazu kommen die Proben mit dem OVH. Ich war ja bisher noch nie Lehrer und unterrichte jetzt Musik in der Oberstufe. Meine zweite Hauptaufgabe ist der Aufbau der großen Ensembles, also eines Mittelstufenchors mit 90 Kindern und eines Mittelstufenorchesters mit 60 Kindern, dazu beides noch einmal in der Oberstufe. Die Ensemblearbeit war hier an der Schule in den vergangenen Jahren eingeschlafen.
Und wie erleben Sie die letzten Proben mit dem OVH?
Stert: Natürlich mit gemischten Gefühlen. In den ersten Wochen nach der Entscheidung habe ich gedacht, das sei emotional alles klar: Köln ist abgeschlossen, jetzt gehe ich nach Stuttgart. Aber in der vergangenen Woche hat es mich noch mal sehr erwischt. Besonders, wenn der OVH zu Höchstform aufläuft, frage ich mich: Wieso mache ich das nicht mehr? Das war doch so lang so toll, so schön. Aber ich weiß auch, dass es viele Argumente dafür gegeben hat und gibt, dass ich in Stuttgart bin und es im Augenblick auch richtig so ist.
Sind Sie und das Orchester derzeit ganz von Erinnerungen beherrscht?
Stert: So nostalgisch sind wir im Moment gar nicht. Eigentlich ganz erstaunlich. Es ist das erste Mal, dass wir alle merken, es ist jetzt wirklich so, ich bin wirklich weg. Es ist ein trauriger Abschied, aber mit dem realistischen Blick, dass es so sein muss. Ich bin gespannt, was noch passiert. Vielleicht haben wir uns die Tränen nur für das Wochenende aufgehoben.
Was waren für Sie die prägendsten Erlebnisse mit dem OVH?
Stert: Da sammelt sich in 24 Jahren natürlich so einiges an. Bestimmt die Erfolge im Deutschen Orchesterwettbewerb, zum Beispiel der erste Sieg oder auch der zweite Platz und der Sonderpreis vor zwei Jahren in Hildesheim. Dann unser Auftritt beim Weltmusikwettbewerb 2001 in Kerkrade, wo wir so ungerecht abgepunktet wurden. Und ganz sicher auch das Projekt „Aus der Stille“ 2006 im Altenberger Dom, wo im Grunde ja auch die Wurzeln des Musikus-Projektes liegen. Schließlich die Aufnahme aus Luxemburg im vergangenen Jahr — unglaublich.
Wie hat sich das Orchester in den 24 Jahren verändert?
Stert: Es ist von Jahr zu Jahr gewachsen und reifer geworden. Ich hoffe, dass ich mich an die Anfangszeit noch richtig erinnere. Das war sicher schon ein gutes Orchester, aber überhaupt nicht mehr vergleichbar mit heute. Was ähnlich geblieben ist: dass bei den Proben immer wieder die gleichen Sachen geprobt werden müssen. Man muss sich alles immer wieder neu erarbeiten. Aber das Orchester hat sich durch meine Herangehensweise über die klassische Musik eine große Stilsicherheit erarbeitet. In den vergangenen fünf Jahren konnte man oft nicht mehr unterscheiden, ob es sich um Profis oder Laienmusiker handelt.
Und die Summe dieser Erfahrungen bekommen wir jetzt am Sonntag zu hören?
Stert: Eigentlich wollte ich selbst etwas schreiben für Orgel und Orchester. Dann fiel der Name Parsifal und ich habe mich entschieden, Wagners letzte Oper für das Blasorchester zu arrangieren. Sie ist prädestiniert für eine große Kirche und ich habe sie schon in Graz dirigiert. Die ganze Oper dauert fünf Stunden und wir spielen 40 Minuten Auszüge, die ich aus der ganzen Oper genommen und zusammengesetzt habe. Das ist genau das richtige Stück für den Endpunkt einer langen und erfolgreichen Zusammenarbeit.
Ist das auch Ihr Abschied als Dirigent?
Stert: Nein, das ist kein Abschied von der Dirigentenlaufbahn. Ich werde Dirigent bleiben und auch weiter für meinen belgischen Verlag Blasorchester-Werke komponieren. Und irgendwann werden der OVH und ich sicher wieder ein Projekt miteinander machen. Aber jetzt ist nach 24 Jahren erst mal wichtig, wirklich zu gehen. Mein Nachfolger und das Orchester müssen eine Chance haben, sich aufeinander einzulassen.
Können Sie sich mitfreuen, dass der OVH bereits einen Nachfolger gefunden hat?
Stert: Der OVH hat Glück gehabt, dass er mit Timor Chadik einen der wenigen Dirigenten gefunden hat, die schon mit Sinfonieorchestern gearbeitet haben. Damit besteht die Möglichkeit eines roten Fadens und einer Art Fortsetzung meines Gedankens. Auch wenn Herr Chadik den OVH durch seinen persönlichen Stil und seine Ideen anders prägen wird.