Organspende: Vermittler für geschenkte Lebenszeit
Klaus Brühne steht oft genug an der Schnittstelle von Trauer und Hoffnung — und will eines dabei auf keinen Fall: irgendeinen Druck ausüben.
Burscheid. Wenn das Diensthandy von Klaus Brühne klingelt, geht es immer um Leben und Tod. So ungewiss der Ausgang des Gesprächs auch ist, über allen Fragen und Antworten liegt ein unausgesprochenes „Jetzt oder nie“. Wenn das Diensthandy von Klaus Brühne klingelt, muss er die Zerreißprobe aushalten zwischen einem plötzlichen Tod und der Hoffnung auf geschenkte Lebenszeit.
Klaus Brühnes Berufsbezeichnung lautet Koordinator für Organspende. Das klingt nüchtern und auch Fragen von Leben und Tod können Routine werden. Wenn ihn bei einem seiner sechs bis sieben 24-Stunden-Rufdienste im Monat von der Essener Zentrale der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) der Hinweis auf einen möglichen Hirntod erreicht, läuft bei seinem Rückruf in dem betreffenden Krankenhaus erst einmal ein Standardprogramm ab.
Am Telefon versucht der gelernte Krankenpfleger eine Reihe von Fragen zu klären: Sind wirklich alle Parameter für einen Hirntod erfüllt, wie sie in den Richtlinien der Bundesärztekammer beschrieben sind? Muss er sich um den gesetzlich geforderten zweiten unabhängigen Gutachter kümmern? Gibt es keine Kontraindikationen für eine Organspende? Liegt eine Einwilligung vor oder steht das Gespräch mit den Angehörigen noch aus?
Erst wenn die Rahmenbedingungen feststehen, macht sich der Burscheider auf den Weg. Er weiß: Ab jetzt tickt die Uhr. Er weiß auch: Womöglich sitzt er gleich Angehörigen gegenüber, die sich mit dem Thema Organspende noch nie befasst haben; Menschen, die trauern und nun mit einem Anliegen konfrontiert werden, das sich auf andere richtet. „Ein solches Gespräch ist immer eine Balance zwischen Fürsorge für die Hinterbliebenen und Fürsprache für die Patienten auf der Warteliste.“
Was ihm in dieser Situation besonders wichtig ist: Das Gespräch muss ergebnisoffen geführt werden, völlig frei von jeder Form der Suggestion und Überredungskunst. „Es gibt einen absoluten Respekt vor der Entscheidung der Angehörigen.“ Kein Druck also, wohl aber Aufklärung und der Hinweis, dass ein Ja oder Nein nicht beliebig aufschiebbar ist. „Wir verfolgen immer das Ziel, eine stabile Entscheidung zu erreichen.“
Dafür, dass die getroffenen Absprachen auch eingehalten werden, bürgt er mit seiner Person. Klaus Brühne bleibt, bis alles vorbei ist. Er meldet die Befunde an die Zentrale von Eurotransplant im niederländischen Leiden. Von dort werden Organspenden in den Benelux-Ländern, Deutschland, Österreich, Slowenien und Kroatien vermittelt. Er organisiert die Entnahmeoperation und steht als Beobachter mit am OP-Tisch. Er stimmt sich mit den Transplantationszentren ab. Er kümmert sich in Absprache mit der DSO-Zentrale um den Transport.
Das ist Stress, extremer Stress. Gute Bezahlung allein reicht als Motivation nicht aus, um sich dieser Belastung immer wieder auszusetzen. Klaus Brühne kennt existenzielle Situationen zu Genüge aus seiner Erfahrung auf der neurochirurgischen Intensivstation in Köln-Merheim. Er hat die Abschlussarbeit seines Geschichtsstudiums dem Thema Hirntod gewidmet.
Vor allem aber hat er in seiner eigenen Familie ein eindrückliches Beispiel vor Augen, welche neuen Lebenschancen sich Empfängern von Organspenden bieten können. Mit diesem persönlichen Bezug steht er nicht allein: Vielen seiner zwölf Kollegen in der DSO-Region Nordrhein-Westfalen geht es ähnlich. „Wir arbeiten alle mit großer Überzeugung und Leidenschaft und einer Affinität zum Thema.“
Manchmal, wenn alles vorbei ist, gibt es Anliegen. Dann wollen sich Empfänger bei der Spenderfamilie bedanken oder Angehörige wissen, in wessen Körper jetzt das Organ ihres Verstorbenen weiterlebt. Der Gesetzgeber hat dafür klare Vorgaben gemacht. Klaus Brühne kann, wenn gewünscht, Informationen weitergegeben — aber ohne Namen. Mit Gefühlen von Schuld, Verpflichtung, Abhängigkeit oder auch nur Dankbarkeit sollen die Beteiligten nicht noch zusätzlich belastet werden.
Dafür setzt er auf Aufklärung und Bewusstmachung bei all denen, die vor diesen Grenzfragen von Leben und Tod generell zurückschrecken. „Organspende kann ganz plötzlich ein Thema für mich werden — ob ich es will oder nicht.“