Düsseldorf Der schwierige Weg zur eigenen Wohnung

Düsseldorf · In einer Unterkunft für Wohnungslose lernen Menschen realitätsnah zu wohnen. Ein eigener Mietvertrag ist für manche dennoch in weiter Ferne.

Jürgen Plitt der Franzfreunde und Sozialarbeiterin Bettina Titze sitzen in der Küche einer Wohngruppe für Wohnungslose.

Foto: Fatima Krumm

In einem dicken Ordner hat Thomas seine Unterlagen abgeheftet. Bewerbungen auf Wohnungen und die darauf, wenn überhaupt, folgenden Absagen. Seit drei Jahren lebt der 46-Jährige in einer Einrichtung für Wohnungslose in Düsseldorf Bilk.

Sowohl von außen als auch von innen sieht die Unterkunft modern aus. Sechs Einzelzimmer gehen von den langen Fluren ab. Ein Bett, ein kleines Sofa, Regale und ein privater Kühlschrank kann Thomas sein eigen nennen. Die Gemeinschaftsküche ist geräumig, aufgeräumt, mit Mikrowelle, Esstisch und allem was man braucht. Zwei Personen teilen sich ein Badezimmer. Auf vier Etagen leben 22 Männer und eine Frau. In den Fluren hängen Putzpläne aus. „Mehrfach am Tag sind wir in den Etagen präsent. Dabei suchen wir das Gespräch mit den Bewohnern, schauen aber auch danach, ob es in den Wohngruppen sauber und ordentlich ist. Am Dienstag ist dann jeweils Hauptabnahme der Reinigungsdienste“ sagt die Sozialarbeiterin Bettina Titze. Ordnung und Regeln sind Pflicht.

Wer wohnungslos ist, ist zwar nicht ohne Obdach, hat aber keinen eigenen Mietvertrag. Die Gründe für die Wohnungslosigkeit sind vielfältig. „„Die Menschen kommen von der Straße, aus Notunterkünften oder haben zuvor bei Bekannten übernachtet“, sagt Jürgen Plitt, Geschäftsbereichsleiter der Wohnungslosenhilfe der Franzfreunde. Die Franzfreunde sind eine Ordensgemeinschaft der Armenbrüder und setzen sich für Menschen in sozialen Notlagen ein. In seinen über 20 Jahren im Beruf hat der Diplom-Theologe so ziemlich alle Umstände mitbekommen, die zum Verlust der eigenen Wohnung führen. „Es sind Lebensereignisse, die die Leute nicht bewältigen“, sagt Plitt. „Da ist beispielsweise ein junger Mensch, der solange seine Kumpels einlädt und laut ist, bis der Vermieter ihn rausschmeißt. Da ist der Mann, dessen Frau sich getrennt hat. Er lässt alles schleifen, geht nicht mehr zur Arbeit und am Ende verliert er die Wohnung“, zählt Plitt auf. Wieder andere seien nach einem Gefängnisaufenthalt ohne Bleibe. Auch Krankheiten, zum Beispiel Depressionen und Drogensucht seien Gründe, weshalb Menschen mit ihrem Leben nicht mehr klarkommen würden.

In der Wohngruppe in Bilk sollen die Bewohner lernen, realitätsnah zu wohnen. Doch vorher brauchen sie vor allem Hilfestellung bei der Bewältigung von Problemlagen. Drogensucht, Schulden, Privatinsolvenz, Krankheiten, Überforderung und psychische Probleme gilt es in den Griff zu kriegen. „Wer hier einzieht, willigt ein, an Hilfemaßnahmen teilzunehmen“, sagt Plitt. „Wir müssen den Menschen hier helfen und ihnen einen Raum anbieten, sich erst einmal zu stabilisieren und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Ressourcen wiederzuentdecken“, erklärt Titze. Dazu stehen drei Sozialarbeiter den Bewohnern täglich zur Verfügung. Sie helfen dabei, Briefe von Gläubigern zu öffnen und zu beantworten, unterstützen bei der Wohnungssuche und helfen bei Konflikten untereinander. Außerdem gibt es Angebote zur Beschäftigungshilfe, damit die Leute eine sinnstiftende Tätigkeit finden.

Hartz-IV-Empfänger als Mieter unerwünscht

Maximal zwei Jahre sollen die Bewohner in der Wohngruppe bleiben. Thomas wohnt schon drei Jahre dort. Weil er keine Wohnung findet. Seit Mai 2018 ist er auf der Suche. Die Enttäuschung steht ihm ins Gesicht geschrieben. „Viele wollen keine ALG2-Empfänger, die sagen das gleich oder antworten gar nicht erst auf Mails. Und wenn ich zu Besichtigungen eingeladen werde, sind dort viele Leute“, berichtet Thomas. In Düsseldorf zu suchen, erscheint ihm schon aussichtslos. Seinen Suchradius hat er schon ausgeweitet. „Manche Vermieter setzen die Miete bewusst ein bisschen über den ALG2-Satz, damit man sich gar nicht erst bewerben kann“, berichtet er. In Düsseldorf wird nach dem Sozialgesetzbuch für eine alleinstehende Person eine Wohnung bis 459 Euro warm übernommen (in Wuppertal 387 Euro, die Bruttokaltmiete darf in Solingen 390 Euro, in Remscheid 345,50 Euro und in Krefeld 376 Euro kosten). Bettina Titze kann ihm nur Mut zusprechen. „Es gibt Phasen, da brechen manche wieder ein, wenn die Suche erfolglos ist. Da müssen wir wieder ermutigen“, sagt Titze.

Die Franzfreunde fordern gemeinsam mit anderen sozialen Trägern bundesweit 100 000 neue Sozialwohnungen und weitere 100 000 Wohnungen im „gedämpften Segment“.

Thomas sucht weiter. Nebenbei macht er einer Weiterbildung im Informatikbereich. „Früher war ich Nachhilfelehrer und Münzhändler“ erzählt der 46-Jährige. Die Räumungsklage kam für ihn überraschend. „Das war ein ziemlicher Schock, meine ganzen Sachen wurden weggeschmissen.“

„Die beste Wohnungslosenhilfe ist die präventive Arbeit“, meint Jürgen Plitt. „Bevor die Menschen ihre Wohnung verlieren, passiert eine Menge. Häufig gelingt es ihnen nicht, sich frühzeitig Hilfe zu holen. Häufig sind es sogenannte Verdrängungsmechanismen, die sie daran hindern.“ Bei Zwangsräumungen seien häufig Berge an ungeöffneter Post zu finden. Die Stadt Düsseldorf bietet zwar beispielsweise Darlehen an, um die Wohnung zu halten, jedoch muss sich der Einzelne selbst dorthin wenden. „Es sind Blockaden und Schamgefühl, die davon abhalten, sich Hilfe zu suchen.“

Neben der Wohngruppe in Bilk betreiben die Franzfreunde unter anderem noch weitere stationäre Wohngruppen, sowohl mit als auch ohne Vollversorgung mit insgesamt 209 Plätzen, zwei Notschlafstellen für 88 Männer, eine Winternothilfe und eine Notschlafstelle für EU-Ausländer mit 26 Plätzen. Streetworker sprechen die Menschen auf der Straße an.

Insgesamt gibt es in Düsseldorf 1800 Wohnungs- und Obdachlose. Die Wohngruppen mit Selbstversorgung sind zu 85 Prozent mit Männern belegt. Über 50 Prozent dieser Männer sind zwischen 40 und 59 Jahre alt. Die zweitgrößte Altersgruppe stellen mit 29 Prozent die 20 bis 29-jährigen Männer.

„Bei den Frauen gibt es eine verdeckte Wohnungslosigkeit“, erklärt Plitt den Unterschied. „Diese Frauen wohnen häufig bei irgendeinem Mann, der sie aufgenommen hat. In ganz Deutschland geht man von über einer halbe Million Menschen aus, die keine Wohnung haben.