Bei NRW-Sicherheitsbehörden werden insgesamt 173 Verdachtsfälle untersucht – die Zahl ist weiter gestiegen Der wachsende Polizei-Skandal

DÜSSELDORF · . Der Skandal um rechtsextreme Verdachtsfälle bei nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden hat sich erneut ausgeweitet. Inzwischen gehe man 173 Verdachtsfällen nach, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) am Donnerstag dem Innenausschuss des Landtags.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) fordert einen deutlichen Wandel bei der Polizei: Die Kultur des Wegsehens soll ein Ende haben.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Vor drei Wochen lag die Zahl bei 151 Verdachtsfällen. Bei 155 der 173 Beschäftigten unter Rechtsextremismus-Verdacht handele es sich um Polizisten.

Reul hatte als Konsequenz den stellvertretenden Verfassungsschutz-Chef Uwe Reichel-Offermann zum Sonderbeauftragten im Kampf gegen Rechtsextremismus bei der Polizei ernannt. Dieser will bis kommenden Februar ein landeseigenes Lagebild vorstellen und nach Gründen sowie wirksamen Gegenmaßnahmen suchen.

Bei NRW-Polizisten waren in den vergangenen Wochen zahlreiche Hinweise auf eine rechtsextreme Gesinnung entdeckt worden. Auf mehreren beschlagnahmten Datenspeichern war das verbotene Horst-Wessel-Lied gefunden worden. Dabei handelt es sich um das Kampflied der SA und die spätere Parteihymne der NSDAP. Ein Beamter soll Fotos von Weihnachtsbaum-Kugeln mit SS-Runen und „Sieg Heil“-Aufschrift gepostet haben. Bei einem anderen Beamten waren Fotos mit einem Hakenkreuz entdeckt worden, das aus Dienstmunition gelegt worden war.

Andere Beamte waren auf einem Video zu sehen, wie sie die erste Strophe des Deutschlandliedes grölten. Ein Polizist habe sich in Uniform auf zwei Streifenwagen stehend fotografieren lassen, wie er den „Hitler-Gruß“ zeige. Es waren auch Musikdateien von indizierten rechtsradikalen Bands entdeckt worden.

Reichel-Offermann stellte am Donnerstag vor, was er gegen Nazis in Polizeiuniform unternehmen will. Der Diplom-Politologe (64) war bislang stellvertretender Chef des NRW-Verfassungsschutzes. Nun gilt seine letzte große Aufgabe vor dem Ruhestand den Rechtsextremisten mitten in den eigenen Reihen.

Im September 2021 will er seinen Abschlussbericht vorlegen. Die Stabsstelle, die ihn dabei unterstützt, ist größer als die, die in NRW nach Bekanntwerden der großen Kinderpornografie-Fälle gebildet wurde. Zwölf Behörden und in ihnen bis zu fünf Organisationseinheiten will Reichel-Offermann bis dahin genauer unter die Lupe nehmen.

Gibt es Polizisten, die gezielt Ausländer, Menschen mit Migrationshintergrund oder anderer Hautfarbe kontrollieren oder gar schikanieren? „Wir werden auch untersuchen, ob sich die gezeigten rechtsextremen Einstellungen auf das dienstliche Verhalten ausgewirkt haben“, kündigte er an. Er sei aber kein Sonderermittler, betonte Reichel-Offermann vor Journalisten. Ihm gehe es um die Analyse und um Prävention.

NRW-Innenminister Reul strebt nach eigenen Worten einen Kulturwandel bei der Polizei an – von einer Kultur des Wegguckens zu einer des Hinsehens: „Den Korpsgeist, der bislang dazu geführt hat, Dinge nicht anzuzeigen, den muss man umdrehen zu einer Kultur, in der so etwas auf keinen Fall geht und toleriert wird“, sagte Reul.

Minister Reul will mit
3500 Führungskräften sprechen

Der Schlüssel zum Erfolg sind für ihn die Dienstgruppenleiter. „Die sind der beste Seismograph, die merken am ehesten, wie Beamte über Einsätze sprechen und wenn sie sich verändern.“ Reul will deshalb mit allen 3500 Führungskräften sprechen. Etliche Runden hat er bereits hinter sich, viele noch vor sich.

Zunächst waren im Bereich des Polizeipräsidiums Essen mehrere Chat-Gruppen von Polizisten mit rechtsextremen Inhalten entdeckt worden. Inzwischen stellten mehr als 100 Ermittler landesweit bei Beschuldigten inzwischen 249 IT-Asservate sicher. 75 Prozent davon seien bereits ausgewertet.

Das Düsseldorfer Verwaltungsgericht hatte die Suspendierung einer Polizistin erst kürzlich aufgehoben. Der ihr vorgeworfene rechtsextreme Inhalt sei in Wahrheit eine Hitler-Parodie gewesen. Daraufhin waren die Suspendierungen von acht weiteren Beamten kurz darauf ebenso aufgehoben worden.