Fernsehklassiker Dortmunder Oberbürgermeister will „Tatort“ nicht mehr

Düsseldorf · Folge über Tod eines Ex-Bergmanns sei „an Klischeehaftigkeit nicht mehr zu überbieten“, schreibt Ullrich Sierau an den WDR. Die Kommissare gehörten in Rente.

Anna Schudt, Rick Okon, Aylin Tezel und Jörg Hartmann (v.l.) spielen die Dortmunder „Tatort“-Ermittler – am vergangenen Sonntag vor allem in Zechensiedlungen und Stahlwerken. 

Foto: WDR

Der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) macht in einem Brief an den WDR seinem Ärger über die Darstellung seiner Stadt in den „Tatort“-Filmen Luft. „Was sich in vorherigen Folgen schon angedeutet hat, lässt sich nach der Folge von Sonntag nur als fortwährendes Mobbing gegenüber einer Stadt, einer Region sowie den dort lebenden Menschen bezeichnen, schreibt der Politiker an Intendant Tom Buhrow.

Um nachzuvollziehen, was Sierau aufstößt, braucht es kaum mehr als die ersten anderthalb Minuten der „Tatort“-Folge „Zorn“: Ein altes Zechengelände, rauchende Schlote, bedrohliche Skelette alter Fördertürme, auf einem Absperrgitter steht ein Schild: „Bergschäden – Lebensgefahr!“ An einem Bahndamm plakatieren drei Männer Waschzettel mit der Aufschrift „Schicht im Schacht“ und prosten sich dann mit Bierflaschen zu. Und so ähnlich geht es weiter – von der Zeugenbefragung im abgeranzten Wohnwagen (Bewohner: „Wollense ‚n Bier?“ Kommissar Faber: „Oh, da sag’ ich nicht Nein!“) bis zum dramatischen Showdown im alten Stahlwerk. Das ist Pott. Oder?

Die Bilder, so Sierau, stammten größtenteils aus Duisburg statt Dortmund, wo die letzte Zeche schon 1987 geschlossen wurde. Zwar sei ein Krimi keine Doku, aber: „Gesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenhänge sollten ansatzweise passen.“ Das Bild vom Revier im Jahr 2019, das der WDR vermittele, sei „an Klischeehaftigkeit nicht mehr zu überbieten“. Ebenso gut könne man die Münchener Ermittler in Lederhosen stecken und minutenlang Schuhplatteln lassen – „es wäre genauso daneben“, findet der OB. Er habe sich seinerzeit gefreut, dass Dortmund „Tatort“-Stadt geworden sei, doch das sei jetzt vorbei: „Ich persönlich hätte nichts dagegen, wenn Sie den Dortmund-Tatort einstellen und Kommissar Faber und sein Team in den vorzeitigen Ruhestand schicken würden.“ 

Der Sender, der die NRW-“Tatorte“ produziert, reagierte am Dienstag auf die Vorwürfe aus Dortmund und wehrte sich gegen den Klischeevorwurf: „Der WDR zeigt in seinen vielen Dortmunder Tatort-Folgen ein vielschichtiges Bild der Stadt, etwa durch diverse Milieus und Drehorte wie den Phoenixsee, den Westfalenpark oder das Dortmunder ,U’.“ Aus dramaturgischen Gründen werde verdichtet und zugespitzt, dadurch könnten Szenen von einigen als Klischee wahrgenommen werden. „Das polarisiert, löst Debatten aus – das ist aus unserer Sicht nicht negativ, sondern bereichernd“, heißt es weiter. Die Publikumsreaktionen bei öffentlichen Vorführungen in Dortmund selbst seien positiv.

Ullrich Sierau wäre den „Tatort“ am liebsten wieder los.

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Es ist nicht das erste Mal, dass es im Ruhrgebiet kriselt in der Beziehung zwischen dem „Tatort“ und seinem Drehort. Vor einigen Jahren sorgte Götz George alias Schimanski für Aufregung in Duisburg, als er – passenderweise kurz vor Ausstrahlung eines neuen Films der Reihe – in einem Interview der Stadt vorwarf, im Zentrum austauschbar zu werden, sich kaum mehr von Düsseldorf oder Köln zu unterscheiden, an den Rändern zugleich zu verkommen.

Auch ist es keine Premiere, dass den „Tatort“-Machern vorgeworfen wird, klischeebehaftet zu Werke zu gehen. Oftmals geht es dabei um kriminalistische Stereotype, auch um die Darstellung von Milieus; vor zehn Jahren wandte sich der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma gegen eine vermeintliche Diskriminierung der ethnischen Minderheit in der Folge „Brandmal“ durch negative Klischees (wiederum eine WDR-Produktion) und wollte die Ausstrahlung verhindern.

Die „Tatort“-Kommunen müssen wohl damit leben, dass sie zwar Kulisse für ein Millionenpublikum sind, aber keinen Anspruch auf authentische Darstellung erhalten. Im Sammelband „Tatort Stadt“ der Medienwissenschaftler Julika Griem und Sebastian Scholz heißt es, die Filme flechten „allgemein bekannte Gebäude, Plätze und Straßen als Bezugs- und Mittelpunkt der Ansicht in die Geschichte ein, um den Wiedererkennungswert für den Zuschauer zu erhöhen“. Aber wenn, wie in dem Buch beschrieben, ein Münsteraner „Tatort“ zum Großteil aus Kostengründen in Köln gedreht wird, wo der WDR nun einmal sitzt, bleibt es eben bei eingestreuten Postkartenmotiven für den Lokalkolorit. So inszeniere die Sendung deutsche Städte und Regionen „als konsumierbare Kulisse, als touristisches Bild, in dem die Besonderheiten der Orte, ihre Authentizität, gerade durch photogene Klischees gewährleistet werden müssen“.

Dass diese Klischees im Falle Dortmund ausgerechnet Bier trinkende Männer in Trainingsanzügen vor versifften und beschmierten Fassaden sein sollen, ist für Oberbürgermeister Sierau aber nur „eine plumpe Darstellung ohne jedwede regionalen Kenntnisse“. Mindestens einen Fan hat der „Tatort“ im Pott wohl endgültig verloren.