Forum Opernhaus der Zukunft „Einen leeren Flughafen haben wir ja nicht“
Düsseldorf · Der vorübergehende Verlust einer Spielstätte ist immer mit Unsicherheit verbunden, bringt aber auch Möglichkeiten, das Programm zu weiten. Kann Düsseldorf von Berlin lernen?
Rainer Simon weiß, wie es klappen kann. Er ist Leiter der externen Spielstätten der Komischen Oper. Das kleinste der drei Berliner Opernhäuser wurde im Sommer 2023 für eine mindestens sechsjährige Sanierungsphase geschlossen. „Mit der Betonung auf mindestens“, sagt Simon. Er war nun in Düsseldorf, um beim „Forum Opernhaus der Zukunft“ über die Chancen zu sprechen, die eine Sanierung mit sich bringen kann. Sie biete die Möglichkeit, über grundsätzliche programmatische Fragen nachzudenken, neue Räume und Formate zu entdecken, Kontakte mit der Stadt, den Bürgern und externen Partnern zu knüpfen.
Schon seit Beginn des Jahres veranstaltet die Oper alle sechs Wochen die Gesprächsreihe „Forum Opernhaus der Zukunft“ an unterschiedlichen Orten in der Stadt, diesmal zum Thema „Die Öffnung ist Programm“ im FFT, das sich selbst durch innovative und partizipative Konzepte in der Stadt einen Namen gemacht hat.
Die Schließung des Haupthauses war auch für die Verantwortlichen der Komischen Oper mit vielen Ängsten verbunden: „Wo sollen wir stattdessen produzieren und spielen? Wird unser Publikum folgen? Werden wir an Bedeutung verlieren, reicht die Infrastruktur?“, erinnert sich Rainer Simon. Seit Sommer 2023 bespielt die Komische Oper nicht nur eine Interimsstätte, sondern vier. Das Schillertheater in Charlottenburg, eigentlich auf Schauspiel ausgerichtet, aber mittlerweile mit einem Orchestergraben versehen, dient mit seinen 900 Sitzplätzen ganzjährig als Basis.
Zu Beginn jeder Spielzeit gibt es außerdem ein Großprojekt am Flughafen Tempelhof, wo Projekte stattfinden können, die wegen ihrer Größe die Dimensionen eines traditionellen Opernhauses sprengen würden. Wie zum Beispiel Hans Werner Henzes „Das Floß der Medusa“, ein politisches Oratorium mit riesigem Chor- und Orchesterapparat. Das Werk, das bei der Uraufführung einen Skandal auslöste, wird höchst selten aufgeführt, in NRW zuletzt bei der Ruhrtriennale. In der Kindl-Brauerei findet das Festival „Schall und Rausch“ mit Musik zwischen Pop und Avantgarde statt, und im sogenannten Spiegelzelt werden nun in der Zirkusarena statt auf der Opernbühne DDR-Operetten gespielt.
„Unser Auswahlkriterium war, dass die Spielorte möglichst in der ganzen Stadt verteilt sein sollten“, berichtet Simon. „Wir wollten Orte, an denen bisher noch kein Musiktheater geboten wurde, die eine eigene Atmosphäre haben. Es sollte eine Verbindung zwischen Ort und Programm geben. Und natürlich spielt auch die gute Verkehrsanbindung für das Publikum eine Rolle.“ So weit, so gut. Doch kann man Berlin mit seinen drei Opernhäusern mit Düsseldorf vergleichen?
„Berlin ist ein Spezialfall“, findet Anna Melcher, Chefdramaturgin der Deutschen Oper am Rhein: „Es gibt dort drei sehr unterschiedliche Häuser, mit eigener Historie und programmatischen Ausrichtungen.“ Die Deutsche Oper am Rhein beherberge hingegen Oper und Ballett in einem Haus. „Unsere Aufgabe ist es, die große Vielfalt abzubilden“, sagt Melcher. Und auch der geringe Leerstand in Düsseldorf stelle natürlich die Weichen für eine passende Interimslösung. „Sie wären wahrscheinlich froh, wenn Sie einfach übergangsweise in ein leeres Theater einziehen könnten“, sagt Simon und lacht. „Ich würde auch sofort den leer stehenden Flughafen nehmen, aber selbst den haben wir ja nicht“, entgegnet Melcher. Dass es in der Landeshauptstadt wenig Leerstand gibt, sei eigentlich ein gutes Zeichen, sagt Miriam Koch, Beigeordnete für Kultur und Integration. Das bedeute, dass es viele Investoren gebe, die an der Stadt interessiert seien.
Beim „Forum Opernhaus der Zukunft“ ist man sich einig darüber, dass die Oper ein offener Ort werden soll, an dem Innovation und Tradition zusammenkommen, an dem neue Zielgruppen erreicht werden sollen. Uneins ist man sich darüber, was zuerst kommen müsse: die programmatische oder die räumliche Öffnung. Für letztere gibt es in Düsseldorf schon konkrete Ideen. Im Gespräch ist zum Beispiel, die Musikbibliothek aus der Zentralbibliothek am Hauptbahnhof in die Oper auszulagern. Das habe viele Vorteile: Die neue Musikbibliothek wäre auch spätabends und sonntags geöffnet. Außerdem soll es im Haus einen zweiten Spielort geben, die sogenannte Studiobühne.
Was die architektonische Öffnung betrifft, gibt es Häuser, von denen die Rheinoper lernen kann. Das Theater Basel verfügt über einen großen, offenen Raum, das „Foyer Public“. Dort gibt es ein ganztägig geöffnetes Café, aber auch Tische, an die man sich mit seinem Laptop setzen kann, ohne etwas bestellen zu müssen, dazu Flächen, auf denen Leute tanzen, proben oder Tischtennis spielen können.
Für Inspiration bei der inhaltlichen Öffnung muss man hingegen gar nicht so weit suchen: Das FFT in der Nähe des Düsseldorfer Hauptbahnhofs hat kein eigenes Ensemble, sondern arbeitet mit den unterschiedlichsten Gruppen zusammen und beteiligt auch immer wieder Bürgerinnen und Bürger am Programm. „Wir haben auch schon einmal das Publikum kuratieren lassen“, sagt Kathrin Tiedemann, die sich bewusst nicht Intendantin, sondern künstlerische Leiterin des FFT nennt: „Wir können uns das aber auch erlauben. Unser Raum fasst maximal 235 Zuschauerplätze und kann flexibel verändert werden.“
Experimente im Programm, das sagt auch Melcher, können und dürfen scheitern: „Wenn wir eine mutige Premiere haben und dann den Rest der Spielzeit vor leerem Haus spielen, haben wir ein Problem.“ Ein kleiner Saal sorge für mehr Flexibilität. Was nicht bedeute, dass innovativere Konzepte auf die kleine Bühne ausgelagert werden würden, lenkt Koch ein. Die Studiobühne biete einfach eine weitere Möglichkeit.
Braucht es überhaupt ständig neue Formate im Musiktheater? „Unbedingt“, sagt Melcher. „Künstlerisch arbeitende Menschen waren schon immer auf der Suche. Als der erste Roman vertont wurde, war das ein Unding. Wir werfen Bewährtes nicht weg, wir entwickeln. Kunst ist ein Schatz, der über die Jahre gewachsen ist, an dem unendlich viele Menschen gearbeitet haben.“ Das Repertoiretheater sei nicht als Museum zu betrachten, das man ab und zu besuche, sondern als Säule. Schließlich würden sich auch junge Leute für „La Traviata“ interessieren, würden einmal im Leben sehen wollen, wie Violetta stirbt. Melcher hält es wie Arnold Schönberg, der gesagt haben soll: „Ich bin ein Konservativer. Ich bewahre den Fortschritt.“