Düsseldorf Aussterbende Dinge: Das sind die letzten ihrer Art

Einst prägten sie unseren Alltag, jetzt verschwinden sie aus der Fortschrittsstadt Düsseldorf. Die WZ forscht nach Kassetten, Briefbeschwerern, Röhrenfernsehern, Telefonzellen und Koffern ohne Rollen.

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Düsseldorf. Das knallharte Recht des Stärkeren herrscht längst nicht nur in der Natur. Auch in der Welt der Dinge geht’s ums nackte Überleben. Nur was mit dem Stakkato-Takt der Moderne Schritt hält, übersteht den gnadenlosen Selektionsprozess des technischen Fortschritts. Sein jüngstes Opfer steht nun seit gestern fest. Das japanische Unternehmen Funai hat die Produktion von Videorekordern eingestellt. Es soll der letzte Hersteller dieser bald schon antiquierten Abspielgeräte sein.

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Doch längst nicht nur Videorekordern hat das letzte Stündlein geschlagen. Die WZ hat sich in Düsseldorf auf die Suche nach den letzten Exemplaren einstmals gesunder Populationen gemacht. Fünf Beispiele für besonders bedrohte Arten:

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Koffer ohne Rollen: Jeder Fortschritt hat seine Schattenseite. Beim Trolley ist es der Lärm. Doch die Gesellschaft hat sich entschieden, Bequemlichkeit geht vor Rattern. So lautlos er auch war, in Düsseldorfs 40 Jahre altem Koffergeschäft Spobag mit Filialen an Liesegang- und Oststraße ist er längst nicht mehr im Sortiment.

„Die ersten Koffer mit Rollen gab es bei uns schon Anfang der 80er Jahre“, sagt Geschäftsführer Dirk Theisen. Da zogen Reisende sie jedoch noch der Länge nach hinter sich her. In den 90ern kam dann der klassische Trolley auf. Doch mit zwei Rollen ist er auch schon wieder vom Aussterben bedroht. „Diese Modelle führen wir seit fünf bis sechs Jahren nicht mehr. Neue Koffer haben heute eigentlich immer vier Rollen.“

Anders gehen die Uhren im Second-Hand-Laden „Elementarteilchen“ — eine Art Reservat für Koffer ohne Rollen. Inhaberin Christiane Koch nutzt sie als Deko-Elemente — als Podest für Schuhe oder Fach für Handtaschen. „Ich werde von alten Damen aus der Nachbarschaft mit den Koffern versorgt.“ Doch nicht nur zweckentfremdet hat der Tragekoffer mit Hilfe des Elementarteilchens noch eine Zukunft. „Einen Koffer habe ich neulich verkauft. Ein Nachbar geht mit ihm jetzt täglich zur Arbeit.“ Ganz ohne klackern.

Telefonzellen: Schon der Begriff ist unangenehm: Zelle. Hat was von eingesperrt sein. Ganz abgesehen von den festgebackenen Kaugummiresten im Wechselgeldfach, wir erinnern uns. Wie grenzenlos scheint dagegen die Freiheit, mit dem Handy völlig unbehelligt jederzeit und allerorts telefonieren zu können — und damit seinen Mitmenschen gehörig auf die Nerven zu gehen.

Doch die zum Teil penetrante Geräuschkulisse wird uns nicht zurück in die Telefonzellen treiben. Wie auch, es gibt sie ja kaum noch. Erst vor drei Jahren wurden die prominentesten Vertreter ihrer Art in Düsseldorf — fünf historische Häuschen auf der Kö — abgebaut.

Das Ende der Zelle ist besiegelt, auch wenn es schleichend kommt. „Vor allem in der Nähe des Hauptbahnhofs und am Flughafen gibt es sie noch“, sagt Andrea Blome, Leiterin des Amtes für Verkehrsmanagement. Seit Ende der 90er Jahre sei die Zahl jedoch deutlich zurückgegangen. Gut 400 öffentliche Telefone soll es immerhin noch geben, weniger als die Hälfte sind klassische Zellen, der Rest Rufsäulen.

Audiokassetten: Noch vor CD und Vinyl-Platte steht sie ganz oben auf der Roten Liste: die Audiokassette. Bandsalat, schlechter Sound und schier endloses Zurückspulen will einfach keine Liebhaber finden.

Artenschutz gibt es bislang zumindest für die Kult-Hörspiele „Die drei ???“. Doch auch die sind bei Saturn an der Kö nur noch in Einzelfällen zu finden. Immerhin, bei einer Stichprobe vor Ort finden sich ein paar Folgen von Benjamin Blümchen oder Bibi Blocksberg. Musikkassetten gibt es dagegen nur noch auf Bestellung.

Vorrätig hat das Haus immerhin ein letztes Modell einer bespielbaren Kassette. „Dieses Produkt läuft aber in Kürze aus und wird dann nicht mehr im Sortiment des Marktes geführt“, sagt eine Pressesprecherin auf Nachfrage.

Briefbeschwerer: 7,6 Zentimeter breit, 1,9 Zentimeter hoch und doch 400 Gramm schwer ist dieser dinggewordene Anachronismus. Der einzige Briefbeschwerer, den es im Kaufhof an der Kö noch gibt. Durch seine halbrunde Form taugt er nicht mal als Mordwerkzeug, wofür seine kantigen Artgenossen nicht selten in der Literatur herhalten mussten. Und wo werden noch Briefe beschwert, wenn die Post mittlerweile in Echtzeit durch den digitalen Raum gebeamt wird?

Es soll allerdings Menschen geben, die E-Mails ausdrucken. Und eine Kaufhofsprecherin erklärt: „Viele Kunden kaufen unsere Briefbeschwerer noch fürs Büro, um ihre Unterlagen auf dem Schreibtisch zu sortieren.“ Doch ein langes Leben dürfte ihnen selbst auf dem „Schreibtisch des Ruhrgebiets“ nicht vergönnt sein.

Röhrenfernseher: Wie den Dinosauriern nach dem Meteoriteneinschlag hat nun den Röhrenfernseher das letzte Stündlein geschlagen. Flat geht vor klobig.

Ermessen lässt sich dieses Massensterben auf dem Recyclinghof in Flingern, wo die Awista seit Kurzem Fernseher und Monitore gesondert sammelt. Allein 30 Kubikmeter Elektroschrott fallen in diesen Containern pro Woche an. „Der Großteil sind Röhrenfernseher“, sagt Sprecher Ralf Böhme.

Immerhin: Während die letzten Flackerkisten in manch Düsseldorfer Wohnung noch wacker ihren Dienst tun, zeigt das Kaufhaus Wertvoll der Caritas doch noch eine Zukunft für die Urviecher des bewegten Bildes auf. Upcycling heißt der Trend, bei dem aus gestapelten Gehäusen Regale gemacht werden. Todschick.