HHU-Professor fordert eine Wirtschaftswende „Die Globalisierung ist in die falsche Richtung gelaufen“

Düsseldorf · Es ist nichts anderes als ein Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik, den Dutzende renommierte Ökonomen mit der „Berlin Declaration“ fordern. Darunter ist auch der Düsseldorfer Wirtschaftswissenschaftler Jens Südekum.

Der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum auf dem Campus der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Die Landeshauptstadt ist eine der Städte im Land, die tendenziell wohl zu den glücklichen Gewinnern der Globalisierung zählen. Die Finanzen sind stabil, kulturell floriert die Stadt und (Rechts-) Populisten erhalten im Bundesvergleich nur geringe Zustimmungswerte. Anders ist es in Regionen wie dem Ruhrgebiet, Teilen von Sachsen und besonders auch im „Rust Belt“ in den USA oder den früheren Industriezentren im Norden Englands. Dort feiern (rechts-)populistische Parteien seit Jahren Erfolge.

Um der Attraktivität von Populisten die ökonomische Grundlage zu entziehen, haben Dutzende renommierte Ökonomen eine Erklärung unterzeichnet, die „Berlin Declaration“. Darin wird nicht weniger gefordert als ein zügiger Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik. Zu den Unterzeichnern gehören beispielsweise Nobelpreisträger Angus Deaton, der ehemalige IWF-Chef Olivier Blanchard oder der kapitalismuskritische Ökonom Thomas Piketty. Auch der Düsseldorfer Wirtschaftswissenschaftler Professor Jens Südekum von der Heinrich-Heine Universität ist einer von ihnen.

In den Wirtschaftswissenschaften habe es über einen langen Zeitraum eine „etablierte Orthodoxie“ gegeben, erklärt Südekum im Gespräch, die im Kern die Formel hatte: „So viel Markt wie möglich, so wenig Staat wie nötig.“ Die Unterzeichner der Deklaration sagen: Das ist gescheitert.

In ihrer Erklärung fordern sie eine Art Umkehr dieser Formel. Sie wollen umfassende staatliche Investitionen in die Infrastruktur und in Sektoren, die dabei helfen, Klimaneutralität zu erreichen; sie wollen die „Einkommens- und Vermögensungleichheit“ angehen, insgesamt nicht zu sehr auf den Markt vertrauen und einen „handlungsfähigeren“ Staat ermöglichen.

„Wir müssen der bisherigen Orthodoxie etwas entgegensetzen“, sagt Südekum. Deshalb sei ein Text entstanden, der relativ allgemein gehalten sei, „hinter dem sich aber viele versammelt haben“. Das seien nicht „nur die üblichen Verdächtigen“, sondern auch Ökonomen, „die aus dem liberal-konservativem Spektrum kommen“, die gesehen hätten, dass es eine Alternative benötigt.

Die Wahl Trumps, der Brexit – die seien auch deshalb möglich gewesen, weil beim Strukturwandel und der insgesamt wohlstandschaffenden Globalisierung zu sehr die Gewinner, zu wenig die Verlierer beachtet worden seien. „Man hätte das ja auch anders organisieren können“, so Südekum, den Wandel etwa mit staatlichen Absicherungs- und Umverteilungsmaßnahmen begleiten. Das Misstrauen in den Staat sei dafür aber zu groß gewesen. „Dadurch ist die Globalisierung in die falsche Richtung gelaufen. Und das hat den Populismus so stark werden lassen, dass wir an einem Punkt angekommen sind, an dem man sich echt Sorgen um die Demokratie machen muss“, so der Düsseldorfer Volkswirt.

Der Staat muss schneller und unbürokratischer entscheiden

Das, was die Ökonomen als mangelnde Handlungsfähigkeit des Staates bezeichnen, ist laut Südekum auch durch jahrelange Deregulierungen, Privatisierungsmaßnahmen und Steuersenkungen für Besserverdienende verursacht worden. „Bei den Krisen, die sich momentan aufbauen – etwa dem Klimawandel – ist für mich nicht zu sehen, wie man ohne den Staat als starken Akteur diese wird lösen können“, so Südekum. „Es geht nicht darum zu sagen, ‚wir wollen eine höhere Staatsquote haben und dann wird alles gut’“, sondern auch darum, dass der Staat handlungsfähig sein müsse, indem er schneller und unbürokratischer entscheiden kann. „Der Staat muss dann aber auch – das ist Teil der Wahrheit – über die finanziellen Ressourcen verfügen, um das umzusetzen. Für mich sind das zwei Seiten derselben Medaille“, erklärt Südekum und ergänzt: „Versuchen Sie mal, für den öffentlichen Sektor IT-Experten zu gewinnen. Im Privatsektor verdienen die das Dreifache.“

Die bessere Ausfinanzierung des Staates müsse dabei aus einer Mischung aus Steuern und Kreditaufnahmen erreicht werden. Für zusätzliche Kreditaufnahmen müsste demnach die Schuldenbremse dahingehend reformiert werden, dass zusätzliche Investitionen beispielsweise in die Infrastruktur möglich sind.

Zusätzliche Steuereinnahmen könnten außerdem etwa durch eine Reformierung der Erbschaftssteuer erzielt werden. Und zwar insofern, als dass Betriebs- und Privatvermögen nicht mehr getrennt voneinander betrachtet, sondern gemeinsam besteuert werden. „Es geht uns um die großen Vermögen, nicht um Omas kleines Häuschen,“ so Südekum. Das sei auch eine Gerechtigkeitsfrage. „Die Daten zeigen ja: Die meisten Superreichen haben ihr Vermögen nicht selber erarbeitet, sondern geerbt. Wenn ein Teil der jungen Generation am Tag ihrer Geburt schon ausgesorgt hat und in ihrem Leben eigentlich nicht arbeiten muss, und der Großteil der Gesellschaft sich andererseits abstrampelt und trotzdem keine 10 000 Euro ansparen kann, weil nichts da ist zum Ansparen – dann ist das ein fundamentales Gerechtigkeitsproblem.“