Düsseldorfer Punkrockband „Wie soll ein Wort wie Liebe Bestand haben?“

DÜSSELDORF · Die Broilers aus Düsseldorf haben mit „Puro Amor“ ein neues Album aufgenommen. Wie sie über die reine Liebe, menschliches Verhalten in Pandemiezeiten und Diversität denken, erklären Frontmann Sammy Amara und Bassistin Ines Maybaum.

Die Broilers aus Düsseldorf haben die Zeit der Pandemie für ein neues Album genutzt: Puro Amor.

Foto: Robert Eikelpoth

Das neue Album der Broilers heißt „Puro Amor“, reine Liebe, und zeigt auf dem Cover zwei kämpfende Hähne. Ich gebe zu: Das ist eine sehr interessante Mischung. Eine, die wie genau zustande kam?

Sammy Amara: Die Coveridee hatte ich, als ich mit meiner Freundin durch Los Angeles lief. Durch eine mexikanisch geprägte Gegend. An einer Wand sah ich die beiden kämpfenden Hähne und dachte: „Was für ein geiles Tattoo-Motiv!“ Denn es ist irgendwie ein Sinnbild für die Bandgeschichte.

Weil die Broilers, die Hähnchen, immer untereinander kämpfen?

Amara: Nein, nicht immer. Aber: Das Kämpfen gehört zu einer Band, zu einer Familie, zu einer Beziehung – eben: zur reinen Liebe, „Puro Amor“ –  dazu. Daher auch der Titel. Zudem spricht sich „Puro Amor“ mit gerollten „r“ sehr schön.  Und: Diesen Titel versteht wirklich jeder. Auch wenn jemand nicht des Spanischen mächtig ist. Und das alles ergibt zusammen schon wieder so viel Sinn, dass es sogar ein versehentliches Konzeptalbum über die Liebe sein könnte.

Gibt es das: ein Konzeptalbum aus Versehen?

Amara: Es gab nicht dieses Über-Thema. Es war nicht geplant. Aber je häufiger ich die Lieder oder die Fragen anderer zu diesen Liedern höre, stelle ich fest: Verdammt, irgendwie handelt ja doch jeder Song von der Liebe. Selbst ein Lied wie „Alice und Sarah“.

In dem Sie – unterlegt von einem Ska-Beat – die Person der AfD-Politikerin Alice Weidel aus Sicht deren Lebensgefährtin Sarah Bossard beschreibst und diese singend bittest: „Hol‘ Deine Frau ab, Sarah. Sie redet wieder Nazi-Dreck“.

Amara: Genau. Und selbst ein solches vermeintlich lustiges, politisches Lied hat die Liebe als Thema.

So etwas muss ja einen Grund haben: Sehnen Sie sich gerade übermäßig nach Liebe – oder werden Sie eher davon überschüttet?

Amara: Eher Ersteres. In diesen Zeiten – und die sozialen Medien sind dahingehend ein Verstärker – wird gerade deutlich: Dieser ganze Hass, diese Wut führen am Ende zu gar nichts. Und auch wenn ja ich selbst immer wieder mal – Hihi! – über Hippies schimpfe: Am Ende des Tages wäre es doch eine sehr angenehme Welt, wenn alle hippie- und „Peace & Love“-mäßig unterwegs wären. Liebe ist immer wichtiger als Hass. Aber ich weiß, dass das auch eine Utopie ist. Weil wir Menschen eben wir Menschen sind. Und wenn wir Menschen schon daran scheitern, uns zusammenzureißen und ein Stück Stoff im Gesicht zu tragen, um unser Gegenüber zu schützen – wie soll da so ein großes Wort wie „Liebe“ Bestand haben?

Und dass die Zeit reif für ein Konzeptalbum über die Liebe ist – ausgerechnet von einer Punkband? Da dürften einige Hartgesottene aus der Szene doch schimpfen.

Amara: Wenn ich in dieser Zeit der Pandemie eine Sache gelernt habe, dann eine gewisse Gelassenheit. Oder besser gesagt: Sie kam über mich. Ich habe nach 25 Jahren in einer Band gewisse Dinge verstanden wie etwa: Ich werde niemals alle glücklich machen. Und das ist eine Befreiung. Das lässt mich leichter mit negativer Kritik umgehen. Dass sie mich nicht so zerfrisst wie bisher. Und dass wir auch mal ein Album über die Liebe aufnehmen können.

Peace, Love, Puro Amor, die reine Liebe. Ohne Bedingung. Und ohne Grenzen?

Amara: Beziehungsweise: Am liebsten hätte ich gar keine Feindschaft mehr. Aber auch meine Liebe hat schon Grenzen. Ich habe beispielsweise keinen Bock, mit Rechten an einem Tisch zu sitzen und Bier zu trinken. Da sitze ich lieber – und da habe ich wirklich Bock drauf – im Schneidersitz und mit Akustikgitarre im Park mit 15 Hippies zusammen.

Herr Amara, Sie sagten jüngst, Sie versprächen den Menschen da draußen „nackig in die Hand“, dass „Puro Amor“ ihnen allen gefallen werde. Das spricht für Selbstbewusstsein und eine eindrucksvolle Überzeugung, den Nerv der Hörer zu treffen.

Amara: Ich weiß selber nicht warum, aber: Ich fühle mich so wohl mit diesem Album wie selten zuvor. Keine Ahnung, woran das liegt. Es könnte daran liegen, dass es über einen so langen Zeitraum – beginnend vor der Pandemie – entstanden und es mich entsprechend lange begleitet hat. Es könnte daran liegen, dass so viel Persönliches darin steckt wie nie zu vor. Es könnte daran liegen, dass ich sehr frei beim Schreiben war und ich mir alles erlaubt habe. Bei „Puro Amor“, habe ich mir gesagt: Denk‘ nicht nach! Mach‘ das, auf, was du Bock hast. Es ist, wie es ist! Die Broilers sind die Broilers und nicht die Ramones oder Motörhead, die immer die gleichen Platten gemacht haben. Und zudem: Die Leute stehen auf diese Broilers-Kernkompetenz. Gitarren, Bläser, all das. Und davon ist sehr viel auf der Platte. Die Maxime lautet: Die Broilers einfach mal machen lassen.

Hören wir auf „Puro Amor“ nun den endgültig in Stein gemeißelten Band-Sound?

Amara: Das klingt mir tatsächlich zu endgültig. Sagen wir so: Diese Platte ist in gewisser Hinsicht eine Broilers-Platte schlechthin. Da steckt ganz viel von uns selber drin. Und da ist ganz viel von uns selber drauf zu sehen. Nehmen sie nur die Hähnchen auf dem Cover. Die Broiler. Klar: Dieser Bandname ist ätzend, grässlich und immer schon scheiße gewesen. Darüber müssen wir nicht diskutieren. Aber: Das ist nunmal unser Bandname. Und wir haben uns gewissermaßen zum ersten Mal – zumindest nach unserem ersten Bandshirt, das ich eine Woche nach Bandgründung mit einem Brathähnchen bemalt hatte – getraut, ein Hähnchen oder einen Hahn auf einem unserer Produkte zu zeigen. Und das beweist: Wir sind mit allem, was wir getan haben, vollkommen im Reinen.

Auch mit dem Pathos, der die von Ihnen, Herr Amara, geschriebenen Texte gerne einmal auszeichnet?

Amara: Ich stehe auf Pathos. Mein guter Freund Bruce Springsteen macht das ja auch.

Bei allem Respekt für den Boss: Pathos ist hierzulande eher problematisch.

Amara: Ein bisschen verstehe ich diese Abneigung der Deutschen gegenüber dem Begriff Pathos auch. Der wurde durch die Nazis pervertiert. Aber: Ich möchte diesen – Verzeihung – Schweinen diesen Begriff auch nicht überlassen. Ich bin ein Mensch, der einfach große Gefühle mag. Musik ist für die schönste Kunstform. Und wenn es da irgendwo pathetisch zugeht, dann stehe ich darauf. Und auch bei Filmen ist das so. Da sind gerade die pathetischen Momente die, die ich großartig finde. Gut: In „Independence Day“ ist das ein Schritt zu weit. Da ist es überreizt und nur noch Comedy. Aber beispielsweise die „Batman“-Trilogie von Christopher Nolan? Großartig!

Ein Thema, das mit den Broilers verbunden und hoch aktuell ist: Diversität. Sie, Herr Amara, haben irakische Wurzeln. Den Bass spielen Sie, Frau Maybaum. Eine Frau umgeben von vier Männern. Wenn man sich ansonsten aber in der Erfolgs-Rockszene hierzulande umschaut, dann sieht man: Sie wird dominiert von mittelalten, weißen Männern.

Amara: Für uns ist diese Diversität komplett natürlich und wir fänden es am allerbesten, wenn das gar kein Thema sein müsste. Aber wir verstehen, dass es derzeit wichtig ist und wir uns da in einem gesellschaftlichen Umbruch befinden. Ines sagt immer, dass sie das Glück hatte, fast nur mit coolen Männern zu tun gehabt zu haben, die ihr nie das Gefühl gegeben haben: „Du bist eine Frau, du bist etwas Anderes.“ Und dieses Glück hatte ich mit meinem Freundeskreis auch. Ich bin sogar immer wieder überrascht, wenn man mich auf meinen Migrationshintergrund anspricht. Denn ich nehme den selbst gar nicht wahr. Wir denken in der Band einfach nicht darüber nach. Aber: Es ist gut, über diese Dinge zu sprechen. Denn vielleicht hilft dieses Sprechen darüber auch, dass sich Menschen trauen, in diese Thematik reinzuschnuppern, die das bislang nicht getan haben. Ich möchte nicht, dass aufgrund von Herkunft oder Geschlecht Urteile gefällt werden.Maybaum: Ich habe auch durchaus das Gefühl, dass generell mehr über diese Thema geredet wird. In den letzten Jahren hat sich diesbezüglich nicht zuletzt in der Musikbranche mehr getan – gerade auch, was die Rolle von Frauen angeht. Egal ob auf der Bühne oder abseits im Bereich Veranstaltungstechnik oder dergleichen.

Frau Maybaum, inwiefern haben Sie als Musikerin selbst schon sexistische Sprüche abbekommen?

Maybaum: Das sind Dinge, die ich durchaus schon erlebt habe. Und ich bin jemand, dem solche Bemerkungen normalerweise am Allerwertesten vorbeigehen. Das verletzt mich nicht. Zumal, wenn es von Menschen kommt, die ich gar nicht kenne. Das ist vielleicht eine positive Stärke von mir als Frau. Dass ich damit umgehen kann. Nur: Wenn es so wäre, dass ich auf die Bühne gehen, mir meinen Bass schnappen wollte und irgendein Typ würde zu mir sagen: „Was willst du denn hier? Der Bassist kommt bestimmt gleich“ – da würde ich durchaus auf die Barrikaden gehen. Sprich: Sobald es darum geht, dass ich etwas nicht kann, weil ich eine Frau bin. Ich möchte in solchen Situationen auch nicht, dass mir andere zur Seite springen. Da bin ich Frau genug, um selbst zu sagen: „Das geht nicht. Das hat hier anders zu laufen!“

Sie sind Musiker, schreiben Songs. Wie denken Sie – als Menschen, die somit eine besondere Beziehung zur Sprache haben – über Veränderungen in der Sprache aus Gründen der Diskriminierung, des Rassismus, des Sexismus?

Amara: Es sollte normal sein, gewisse Wörter nicht mehr zu benutzen, wenn man doch weiß, dass diese Wörter andere Menschen verletzen. Warum sollte ich die weiterhin verwenden? Bricht mir ein Zacken aus der Krone, wenn ich die „Zigeunersoße“ jetzt „Paprikasoße“ nenne? Wenn mein Seelenheil an so etwas hängt, dann habe ich wenig Schönes im Leben.
Maybaum: Ich finde, wenn Worte beispielsweise in Songtexten auf eine gewisse Art und Weise ehe neutral verstanden werden, dann ist das vollkommen okay. Texte sind immer individuell. Da kann man nie alle mit einschließen. Was wiederum die Alltagssprache oder die alltäglich geschriebene Sprache angeht: Es wird Sexisten wohl nicht zum Umdenken bringen, wenn man Gendersternchen verwendet. Aber: Ich fände es dennoch schön, wenn es so etwas wie im Englischen gäbe. Dort kann sich jeder und jede gleichermaßen von einem Hauptwort angesprochen fühlen.

Sind Sie für eine Frauenquote bei Musikfestivals?

Maybaum: Eine Frauenquote kann zumindest helfen, damit Künstler und Künstlerinnen mehr gesehen und gefördert werden. Aber wir müssen uns auch fragen ob Frauen einfach generell das Problem haben, dass ihnen der Weg in viele Positionen verwehrt wird, weil sie etwa Kinder bekommen und die Gesellschaft ihnen einen bestimmen Lebensentwurf zuschreibt? Ich denke das ist das größere Problem und man sollte an der Wurzel des Übels ansetzen, damit eine Frauenquote gar nicht notwendig wird.

Amara: Ich bin für eine Frauenquote. Denn gleiche Möglichkeiten – das bedeutet auch, andere Menschen unter Umständen mehr zu unterstützen. Es gibt da dieses Bild von drei Kindern, die über einen Zaun auf einen Fußballplatz schauen wollen. Und weil eines der drei nicht groß genug ist, stellen die anderen beiden eine kleine Leiter hin, auf die es sich dann stellen kann. Und wenn ich nun im übertragenen Sinne jemandem diese Leiter bereitstellen kann – warum sollte ich das nicht tun? Ich finde das wichtig, bis es eine Normalität entwickelt hat. So, wie es für mich immer schon normal war.