Der Tanz der Schere mit den Stöckelschuhen
Die Galerie Sies + Höke zeigt mit „Lebendige Skulpturen“ einen Überblick über die Freunde Gilbert & George, Polke, Richter und Konrad Lueg.
Düsseldorf. Der Auftritt von Gilbert & George vor 47 Jahren in der Kunsthalle war eine Sensation. Die britischen Künstler standen auf einem Tisch im ersten Stockwerk des Treppenhauses, mit bunten Metallicfarben bemalt, und sangen zu einer Aufnahme von „Underneath the Arches“. Das sentimentale Lied schallte durch den Raum und über die Treppen hinweg, wo die Menschenmassen standen und sich wunderten. Denn dies war die erste Performance, die sie erlebten. Nicht mehr die Skulpturen standen auf dem Sockel, sondern die Personen selbst. In ihren Maßanzügen agierten sie mit stilisierten Gesten wie ein mechanisches Spielzeug, wobei sie abwechselnd einen Handschuh und einen Gehstock austauschten. Stundenlang. Auf diese ersten „lebenden Skulpturen“ verweist die Galerie Sies + Höke in einer Retrospektive, die die Glanzzeit der Düsseldorfer Kunstszene und der Kunsthalle widerspiegelt.
Die Aktionen des Duos fielen im Rheinland auf fruchtbaren Boden. Hier lebten die Künstler Sigmar Polke, Gerhard Richter und jener Konrad Lueg, der schon 1967 ins Lager der Galeristen wechselte und hinfort den jeweiligen Aufbruch in der Kunst selbst bestimmte.
Der Galerist Alexander Sies erzählt, wie er sechs Jahre auf diese Ausstellung hingearbeitet hat, viele Arbeiten selbst kaufte oder als Leihgaben herbeiholte. Trotzdem war es nicht ganz leicht, die Atmosphäre der Zeit, die Mischung aus Konzeptkunst, britischem Humor, rheinischem Frohsinn und Minimal Art wenigstens im Ansatz herauszustellen.
Gilbert & George präsentierten das romantische Künstlerbild zweier Dandys, aber auch den Beginn einer gemeinsamen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, was in den frühen 1970er Jahren völlig unbekannt war. Auf deren heitere Gelassenheit antwortete vor allem Polke, der schon 1968 mit seinen Lithos „Höhere Wesen befehlen“ sich selbst als Doppelgänger darstellte oder wie eine Daphne aus einem hohlen Baum herausschaute.
Polkes Kartoffelkreisel, jener „Apparat, mit dem eine Kartoffel eine andere umkreisen kann“, erobert gleichsam den Weltraum. Auf einem eher labilen Holztisch, Marke Eigenbau, steht ein Kästchen mit einem kleinen Motor, der ein simples, schwarzes Kabel samt Kartoffel bewegt. Damit das Kabel nicht herumhopst, hat Polke es in den Mittelpunkt zweier sich überkreuzender Drähte gesteckt, die an den Tischbeinen befestigt sind. So dreht sich nun die eine Kartoffel um die andere. Im Entstehungsjahr der Arbeit, 1969, war Neil Armstrong auf dem Mond gelandet. Für Polke eine passende Gelegenheit, um die beiden Erdäpfel auf dem Galerie-Boden kreisen zu lassen.
Man kann diesen Wirbelwind Polke nicht genug loben. Wie er aus einem simplen Schuhkarton eine „Kiste mit Fransen“ macht oder einen „Apparat zum Schwängern der Luft“ entwickelt, indem er an einer Kordel ein Selbstporträt schwirren lässt. Sein schönstes Objekt ist die „Rennende Schere“, die natürlich nicht schneiden kann, denn ihre Klingen sind als grazile, tanzende Damenbeine in schicken Strumpfhosen und hochhackigen Schuhen ausgebildet. Die Griffe wirken wie der abstrahierte Körper der Dame. Die Scherenteile sind mit Schräubchen zusammengehalten.
Es war die Zeit, wo Polke auch mit Gerhard Richter zusammenarbeitete. Dabei schufen sie ein Offset-Litho, indem sie ein Bergmassiv in fünf Phasen in eine Kugel verwandelten. Damit dies auch jedermann glaubt, fügten sie eine gedruckte Bildlegende bei. Richter war allerdings um 1970 schon bei seinem eigentlichen Thema der Wahrnehmung. Demonstriert wird dies in der Ausstellung mithilfe von Spiegeln, stählernen Kugeln und einer Glasscheibe. Jedermann, der in einen Spiegel schaut, erhält ein Bild der Realität.
Richter ist kein Ironiker, dennoch gibt es zwei Werke, die seinen Humor beweisen. 1965 pinselte er ein „Rehgehörn“ mit grauer Farbe an, als wolle er die Jagdtrophäe entweihen. Die zweite Tat ist ein herausragendes Ölgemälde von Gilbert und George, indem er die beiden Figuren überblendet.
Fünfter im Bunde der Freunde ist Konrad Lueg, der sich mit außergewöhnlichen Gemälden als kongenialer Künstler erweist. Wäre er nicht Galerist geworden, dann hätte auch er die Kunstzentren mit seinem Werk bestücken können. Gleichsam wie ein Abgesang auf sein Künstlerdasein wirken seine Aufblaswürfel von 1967, die er einst als Folien in einer Tüte zum Kauf feilbot. Der Käufer konnte sie mit Dekomotiven von Duschvorhängen haben, aufblasen und Platz nehmen. Ging ihm die Puste aus, sackten die Sitzkissen in sich zusammen.
Info: Poststraße 3, Vernissage Freitag. Bis Ende Oktober, Montag bis Freitag 10 bis 18.30, Samstag 12 bis 14.30 Uhr.