Kommunalpolitik in Düsseldorf Die Corona-Debatte: Wie gut sind Geisels Aufschlag und die Returns seiner Gegner?

Düsseldorf · Analyse Der OB hat für seinen Vorstoß, das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in der Stadt möglichst bald wieder auf Touren zu bringen, viel Lob und Kritik bekommen. Mit Wahlkampf hat das aber wenig zu tun.

OB Thomas Geisel bekam bundesweit Aufmerksamkeit für seine Thesen.

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Eigentlich hatten die OB-Kandidaten den Wahlkampf wegen der Corona-Pandemie aussetzen wollen, doch jetzt führt ausgerechnet das Virus zum politischen Konflikt. In dessen Zentrum steht Oberbürgermeister Thomas Geisel, er hat mit seinem Gastbeitrag in der „Rheinischen Post“ den Aufschlag gemacht, den Stephan Keller (CDU), Stefan Engstfeld (Grüne) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) dann mehr oder weniger scharf returnierten.

Schaut man genauer hin, wird sofort klar, dass hier kein bloßes Wahlkampftheater gespielt wird. Geisel macht mit seiner These, man müsse schon jetzt an die Wiederherstellung des öffentlichen Lebens denken, um die Wirtschaft nicht voll gegen die Wand fahren zu lassen, schon deshalb keine Wahltaktik, weil die (noch) zu strittig ist. Viele stimmen ihm da zu, lokale und überregionale Stimmen, in Zeitungen wie in sozialen Netzwerken.  Aber mindestens genauso viele widersprechen auch vehement, insofern könnte ein OB – rein taktisch gesehen – sicher cleverer agieren.

Stephan Keller (CDU) ist als Stadtdirektor in Köln mit dem Virus befasst.

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Was also treibt Geisel an? Strebt er politisch gar nach höheren Ebenen? Sein Selbstbewusstsein ist dafür gewiss groß genug – und  es trifft auf eine SPD, die zumal in Nordrhein-Westfalen vor politischen Schwergewichten nicht gerade strotzt. Wahrscheinlicher aber ist, dass der OB hier einfach schon länger eine Haltung entwickelt hat, die er mehrfach auch schon andeutete –  nämlich eine skeptische gegen zu rigide Abschottungsmaßnahmen. Und die musste jetzt einfach mal raus. Thomas Geisel ist prinzipiell kein Taktierer, egal ob es um den humanen Umgang mit Flüchtlingen, die Umweltspuren oder Corona geht.

Stefan Engstfeld (Grüne) kritisiert Geisels Beitrag.

Foto: Bündnis 90/Die Grünen/Grüne Fraktion NRW

Was nicht heißt, dass er hier durchweg richtig liegt. Seine Kernthese, dass wir das öffentliche Leben nicht ewig stilllegen können, ist ja völlig unstrittig, selbst Virologen raten, die wirtschaftlichen Effekte aller Maßnahmen mit im Blick zu haben.  Ebenso richtig ist die Warnung vor dem Ausmaß des wirtschaftlichen Schadens und die Skepsis gegenüber den allzu „vollmundig angekündigten Rettungsschirmen“ des Staates. Der Zeitpunkt seines Vorstoßes aber irritiert. Noch immer ist die Lage in Italien und Spanien (oder in Straßburg) dramatisch; in Deutschland ist nicht einmal gesichert, dass sich die Ausbreitung des Virus verlangsamt. Erst in ein bis zwei Wochen sieht man da klarer, insofern ist das „Timing“ von Geisels Vorstoß nicht gut. Außerdem ist Covid 19 keineswegs nur für betagte oder vorerkrankte Menschen gefährlich, so mancher eine „Herden-Immunität“ propagierende Regierungschef wie Boris Johnson musste da schon komplett zurückrudern.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) widerspricht dem OB.

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Die OB-Kritiker spitzen zu, bleiben aber im Rahmen

Wie sind die Reaktionen der politischen Kritiker zu bewerten? Im Großen und Ganzen als hart, aber nicht zu polemisch. Abwegig und unfair ist allerdings der Vorwurf der CDU, Geisel handele unverantwortlich. Von einem „falschen Signal“ zu sprechen wie ihr OB-Kandidat Stephan Keller ist dagegen in Ordnung. So kann man das sehen, auch wenn Geisel die Maßnahmen zur Corona-Eindämmung in Düsseldorf ja bislang mitträgt und nur indirekt und auf längere Sicht infrage stellt. Sehr umstritten ist Geisels Passage zum Konflikt zwischen den Generationen. Stefan Engstfeld (Grüne) wirft ihm vor, Alte und Schwache gegen die Jüngeren auszuspielen. Das ist zugespitzt, aber legitim. Denn die entsprechende Passage bei Geisel, die mit dem Satz „Und auf Dauer ist auch das solidarische Miteinander der Generationen in Gefahr“ beginnt, gibt diese Interpretation textlich her. Diese Sätze sind im übrigen schwach und überflüssig und hätten dem OB von einem kritischen Vorableser herausgestrichen werden sollen. Denn auch wenn Geisel sicher nicht eine solche Konfrontation herbeireden möchte, wird hier die Entstehung eines Popanzes befördert. Bislang halten die Generationen sehr gut zusammen und daran wird sich absehbar auch nichts ändern.

Bemerkenswert ist die Replik von Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), vor allem weil sich ihr Parteichef Christian Lindner zuletzt ganz ähnlich wie Geisel äußerte.  So schreibt die liberale OB-Kandidatin am Ende ihres Beitrages: „Der Wert eines Menschen errechnet sich nicht nach ökonomischen Maßstäben, sondern nach unserem humanistischen, ja christlichen Wertekanon.“ Ein indirekter Vorwurf, der gerade den überzeugten Christen und Humanisten Thomas Geisel treffen dürfte. Der bewertet zwar Menschen ganz bestimmt nicht nach ökonomischen Maßstäben, hat aber mit seinem – in Teilen eben missverständlichem – Vorstoß zumindest eine Vorlage für derlei Verdächtigungen geliefert.