1988 wurde das Funkhaus Evertz an der Kö an die Rewe-Gruppe verkauft. Ältere Düsseldorfer erinnern sich noch, dass dies gar nicht der erste, sondern der zweite Firmensitz war.
Interview „Funkhaus Evertz war sogar in Japan bekannt“
Düsseldorf · Bis 1988 führte Helmut Evertz Düsseldorfs größtes Hifi- und Plattengeschäft. Im Interview erzählt er über die jahrelange Rivalität mit Schlembach, über eine aus dem Ruder gelaufene Autogrammstunde mit Teenie-Star Limahl und über die kauffreudige brasilianische Fußball-Nationalmannschaft.
Im Dezember schrieb unser Kolumnist Sebastian Brück in der WZ über verschwundene Geschäfte, die das Leben der Stadt prägten. Unter anderem ging es dabei um das Funkhaus Evertz an der Ecke Königsallee/Aderstraße – bis Anfang der 1990er Düsseldorfs größtes Elektro-, Hifi- und Plattengeschäft (siehe Infokasten). Jetzt traf Brück den heute 78-jährigen Mit-Inhaber Helmut Evertz zum Interview.
Evertz: Unser erstes Geschäft war an der Berliner Allee 55, neben dem Autohaus Moll und dem Café Heinemann. Mein zehn Jahre älterer Bruder Ernst Ulrich Evertz hat das Funkhaus Evertz 1956 gegründet. Ich selbst habe ab 1958 im Geschäft eine kaufmännische Lehre gemacht. Da war ich 18 Jahre alt. Ab 1961 bin ich dann als Mit-Inhaber eingestiegen und habe mich nur noch um das Funkhaus gekümmert, während mein Bruder seine Aktivitäten nach und nach eher auf den Immobiliensektor verlagert hat.
Wann und warum passierte der Umzug an die Königsallee?
Evertz: Dorthin sind wir 1972 gezogen, als das Haus an der Berliner Allee verkauft wurde und der neue Besitzer die Miete drastisch erhöhte. Das Haus Königsallee 63-65 hatte wiederum mein Bruder gebaut, insofern waren Erdgeschoss und Keller für das Funkhaus wie maßgeschneidert. Was kaum noch einer erinnert: Parallel hatten wir ab 1958 auch noch eine kleinere Zweitfiliale an der Friedrichstraße 40 – bis die WestLB 1973 den gesamten Komplex neu bebaute. Dort führten wir Elektro-, Radio- und Fernsehgeräte.
Mir hat ein Zeitzeuge berichtet, es habe in der Ur-Filiale an der Berliner Allee spezielle Schallplatten-Kabinen gegeben.
Evertz: Das stimmt. Wir hatten 15 dieser mit Plattenspielern ausgestatteten Kabinen. Die Kunden konnte sich eine Platte ihrer Wahl aus dem Regal nehmen und in Ruhe anhören. Womit wir aber nicht gerechnet hatten war, dass dieser Service oft zweckentfremdet wurde: Die Kabinen entwickelten sich in den prüden 50er- und 60er-Jahren zu einem beliebten Rückzugsort für Liebespärchen. Die besetzten die Kabinen oft über mehrere Plattenlängen, küssten sich ab, und manchmal mussten wir einschreiten und dafür sorgen, dass sie nicht den halben Tag bei uns verbrachten.
Das Funkhaus Evertz an der Kö war mit 3000 Quadratmetern Verkaufsfläche in den 70ern und 80ern der unangefochtene „Platzhirsch“ in Düsseldorf.
Evertz: Eigentlich hatte im Umkreis nur Saturn-Hansa am Ring in Köln ein größeres Sortiment als wir, besonders im Plattenbereich. Mit dem Gründer Friedrich Wilhelm Waffenschmidt war ich befreundet. Er war 1984 einer der ersten Inhaber, der an die Metro verkaufte – zu einem für damalige Verhältnisse unglaublich hohem Preis von über 60 Millionen Mark. Und die Metro hatte wohl schon damals die Idee, unter den Namen „Saturn“ bundesweit zu expandieren.
Anfangs war die Branche ja eher von inhabergeführten Fachgeschäften geprägt. Wie sah das damals aus in Düsseldorf: War man eher Konkurrent oder eher Kollege?
Evertz: Eher Kollege. Ob zum Beispiel Radio Sülz an der Flinger Straße, Radio Ritzerfeld an der Grabenstraße oder Radio König an der Oststraße – man hat sich immer wieder mal getroffen und ausgetauscht. Manchmal haben sich die großen Rundfunkeinzelhändler sogar gegenseitig mit Ware ausgeholfen. Wenn zum Beispiel bei Radio Ritzerfeld ein Kunde ein sehr teures Gerät kaufen wollte, dieses aber vor Ort nicht vorrätig war, dann haben die sich das eben bei uns im Funkhaus Evertz geliehen. Man hat sich gut vertragen. Die Kontakte gingen auch über die Stadtgrenzen hinaus. Wir waren beispielsweise mit den Inhabern der heute noch existenten Firma Stassen Hifi aus Venlo befreundet. Als die Familie Stassen uns einmal in Düsseldorf besuchte und sah, wieviel bei uns im Geschäft los war, hatten sie eine unkonventionelle Idee: Ihr Sohn, damals 14 oder 15 Jahre alt, wurde an einem Samstagmorgen mit einem Lkw voller Spargel nach Düsseldorf geschickt. Der Lkw parkte vor dem Funkhaus, und schon nach ein paar Stunden war die Ware ausverkauft. Später hieß es in der Presse „Evertz verkauft jetzt auch Spargel“.
Mit der Firma Schlembach an der Friedrich-Ebert-Straße, Ihrem größten Konkurrenten, haben Sie sich hingegen legendäre Preiskämpfe geliefert …
Evertz: Mit Schlembach hatten wir fast ein Jahrzehnt wettbewerbsrechtliche Auseinandersetzungen. Die verkauften damals ja nicht nur Fahrräder, sondern auch Unterhaltungselektronik und Schallplatten und haben mit Argusaugen unsere Werbung verfolgt – und wir ihre. Beide Parteien hatten Topanwälte. Obwohl wir uns zwischendurch auch immer wieder mal persönlich mit den Schlembachs getroffen haben, wollte keiner nachgeben. Das hat Jahr für Jahr unglaubliche Summen gekostet. Als Herr Schlembach Ende der 80er bei einem Autounfall tödlich verunglückte, rief mich seine Witwe an und schlug vor, wir sollten alles auf null setzen. Jeder zahlte seinen ausstehenden Teil der Anwaltskosten, und der Streit war beendet.
Ab wann spielte die CD eine Rolle?
Evertz: Dazu muss ich eine kleine Anekdote erzählen: Ich war für das Funkhaus Evertz öfter auf Geschäftsreise in Japan, habe dort unter anderen Akio Morita kennen gelernt, den Gründer und Präsidenten von Sony. Es dürfte 1968 oder 1969 gewesen sein, als er mir sagte: Herr Evertz, wir kennen ja Ihren Laden in Deutschland, und ich habe hier etwas, was Sie demnächst unheimlich begeistern wird. Und dann hat er mir feierlich einen Prototyp der ersten CD überreicht. Das war ein besonderer Moment. Wobei es dann doch noch ziemlich lange gedauert hat, bis die Technik wirklich marktreif war. Der erste CD-Player, den wir in den 80er-Jahren im Funkhaus verkauften, kostete übrigens stolze 2500 Mark, aber er fand trotzdem jede Menge Käufer. Ende der 80er-Jahre begann die CD die Schallplatte zu verdrängen.
Sony-Chef Morita hat dann später auch Ihr Geschäft an der Königsallee besucht.
Evertz: Nicht nur er. Gerade bei den japanischen Herstellern hatten wir einen guten Ruf. Der Präsident der deutschen Niederlassung von Panasonic und Technics, Seinosuke Kuraku, brachte bei seinem Besuch jede Menge Sake-Reiswein mit. Den konnten die Kunden dann direkt im Funkhaus probieren. Es kamen auch immer wieder Künstler und Prominente vorbei: Udo Jürgens, Heino, Boris Becker. Auch Peter Alexander, aber den hat zunächst keiner erkannt. Außerdem haben wir dann und wann Autogrammstunden veranstaltet. Eine ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Das war circa Mitte der 80er, und der Künstler hieß Limahl…
…ehemals Sänger der britischen Popgruppe Kajagoogoo, danach auch solo erfolgreich und ein großer Teenie-Star.
Evertz: Wir hatten die Veranstaltung zuvor beworben, hätten aber nie mit so einem riesigen Fan-Ansturm gerechnet. Schon bevor es überhaupt losging, war der Laden so überfüllt, dass die Polizei einschreiten musste. Sie ließ niemanden mehr hinein und leitete die Fans, die schon drinnen waren, wieder heraus. Wir haben dann improvisiert und einfach auf dem Vorplatz am LVA-Hochhaus drei oder vier Schreibtische aufgestellt. Obwohl die Polizei alles absicherte, wurde das Gelände von den kreischenden Fans fast gestürmt. Der größte Massenauflauf in der Geschichte des Unternehmens. Ähnlich voll war es sonst nur bei unseren Flohmärkten, die von 1974 bis Anfang der 80er immer am ersten langen Samstag des Monats stattfanden. Wir boten im Untergeschoss des Geschäfts große Mengen von Platten und Geräten zum Sonderpreis an. Um 9 Uhr wurde geöffnet, und zu diesem Zeitpunkt standen bereits hunderte Kunden Schlange und wurden mit Hilfe von Security und Absperrgittern in den Laden geleitet.
Brasiliens Fußball-Legende Pelé soll ja mal bei Spielwaren Lütgenau, um die Ecke vom Funkhaus Evertz, eingekauft haben. Der war dann sicher auch bei Ihnen?
Evertz: Das war tatsächlich so, aber es kam nicht nur Pelé, es kam die ganze Mannschaft. Das war Ende der 1960er, noch an der Berliner Allee. Die Brasilianer haben fast den ganzen Laden leer gekauft, hatten bündelweise Geld dabei und zahlten alles in bar. Unser Mitarbeiter Herr Salentyn musste die Ware dann später mit zwei vollen Bussen im Dorint-Hotel Mönchengladbach abliefern, wo das Team residierte.
Kennen Sie eigentlich den autobiografischen Roman „Hotel Laguna“ von Alexander Gorkow, der zwischen Düsseldorf, Meerbusch und Mallorca spielt und in dem auch das Funkhaus Evertz erwähnt wird?
Evertz: Ja, den habe ich gelesen. Dem Autor bin ich sogar schon persönlich begegnet. Das ist aber reiner Zufall, weil er mit unser Tochter Claudia in Meerbusch-Büderich gemeinsam aufs Gymnasium gegangen ist.
Und wer war das Vorbild für den im Buch erwähnten „Jazz-Mann“, der den Vater des Autors in den 1970ern mit aktuellen Jazz-Neuerscheinungen versorgte?
Evertz: In den 1970ern hatten wir ein sehr starkes Jazz-Angebot, mehr als die anderen Plattengeschäfte der Stadt. Beim Jazz-Mann handelte es um unseren Star-Verkäufer Fritz Brockkötter. Der war phänomenal: Er hatte fast jede Melodie, fast jeden Song im Kopf. Die Kunden summten ihm etwas vor, und er wusste sofort, um welche Schallplatte es sich handelte. Er hat vom Anfang 1956 bis zum Ende 1988 für uns gearbeitet.
Warum entschlossen Sie sich 1988 zum Verkauf?
Evertz: Wir haben das gerade noch rechtzeitig gemacht. Die Konkurrenz war immer größer geworden. Schräg gegenüber hatte Schossau aufgemacht, gleichzeitig begannen Saturn und Media Markt durchzustarten. Und dann kam die Rewe-Gruppe auf die Idee, sich auch in der Unterhaltungselektronik zu engagieren, und kaufte diverse der familiengeführten Hifi-Marktführer in den Großstädten. Der Versuch war aber nicht von Erfolg gekrönt, denn nach dem Verkauf bestand das Funkhaus Evertz nur noch drei weitere Jahre – und machte 1991 zu.
Das Funkhaus Evertz bestimmte in jeder Hinsicht Ihr Leben. Sie haben sogar Ihre Frau Karin im Geschäft kennengelernt.
Evertz: Ja, das war 1960, in unserer ersten Filiale. Ich stand dort gerade in der ersten Etage und sah, wie meine spätere Frau mit einer Freundin das Schaufenster betrachtete. Dann bin ich runter gegangen und habe ihnen gesagt, sie sollten doch ruhig reinkommen. Sie hat eine LP von Dean Martin gekauft, und ich habe sie spontan zum Essen eingeladen: ins Café La Romantica am Hildeboldplatz in Köln – ein damals sehr angesagtes Lokal. Fünf Jahre später haben wir geheiratet.