Notunterkunft für Frauen „Obdachlose Frauen müssen stärker gesehen werden“

Düsseldorf · Seit 15 Jahren besteht die „Ariadne“, die einzige Notunterkunft speziell für Frauen an der Querstraße.

Sozialarbeiterin Eileen Stiehler im Gespräch mit einer Ariadne-Bewohnerin.

Foto: ja/Ines Arnold

36 Jahre lebte sie in Oberbilk, hatte eine kleine Wohnung und einen großen Bekanntenkreis. Dann meldete der Vermieter Eigenbedarf an und die 70-Jährige musste die Wohnung räumen. Bekannte ließen sie auf der Couch schlafen, aber auch sie hatten weder Strom noch Heizung. „Das ging so nicht weiter“, sagt die Düsseldorferin und hält sich verschämt die Handfläche vor ihre Zähne. Nach fünf Monaten fasste sie den Mut, in der Notunterkunft für Frauen nach Hilfe zu fragen. „Ich zögerte so lange, weil ich viele Vorurteile hatte“, sagt sie.

Die 70-Jährige ist eine von rund 400 Frauen, die jedes Jahr in der „Ariadne“ einkehren. Die Notunterkunft der Diakonie besteht seit 15 Jahren und richtet sich an Frauen, die von akuter Wohnungsnot betroffen und mindestens 18 Jahre alt sind. „Das sind Frauen, die in ihrer Biografie oft Missbrauch, Gewalt oder sexuellen Missbrauch erlebt haben. Frauen, die einen Beruf hatten und aufgrund von Krankheit plötzlich ihre Miete nicht mehr zahlen konnten. Oder Frauen, die in finanzieller Abhängigkeit vom Mann lebten und sich dann trennen und nie gelernt haben, dass sie Ansprüche gegenüber Leistungsträgern oder dem Ehemann geltend machen könnten“, sagt Eileen Stiehler, die sich als Sozialarbeiterin um die Frauen in der Einrichtung kümmert.

Zehn Doppelzimmer mit 20 Betten bietet die Ariadne an der Querstraße in der Nähe des Hauptbahnhofes. Dort gibt es drei Regeln, an die sich alle Bewohnerinnen halten müssen: Keine Drogen, keinen Alkohol und keine Gewalt gegenüber anderen Bewohnerinnen oder Mitarbeitern. „Unser pädagogisches Ziel ist es nicht, die Frauen in eine Abstinenz zu bringen und ihnen zu sagen, wie schlecht Alkohol und Drogen sind“, erklärt Stiehler. Das primäre Ziel der Notunterkunft sei es, die Frauen von der Straße zu holen und ihnen einen sicheren Rahmen zu geben, in dem sie erst einmal zur Ruhe kommen können.  „Und gemeinsam schauen wir dann, wie die Perspektive jeder Frau aussehen kann. Wir bieten Hilfe in allen Bereichen an, aber es liegt in der Eigenverantwortung der Frau, diese auch anzunehmen. Und wenn die Frau für sich entscheidet, hier einfach nur mal ein paar Tage auszuschlafen und nichts weiter an ihrer Lebenssituation zu ändern, dann ist das auch in Ordnung.“

Die Notschlafstelle ist
stark nachgefragt

Dass Obdachlosigkeit im Stadtbild wie ein männliches Problem wirkt, habe einen Grund. „Ein Drittel der Wohnungslosen sind Frauen, sie lassen sich ihre Situation aber selten ansehen“, sagt Stiehler.

Auch die Frauen-Notschlafstelle ist  stark nachgefragt. Dennoch ist die Sozialarbeiterin überzeugt: eine Aufstockung der Plätze ist nicht der richtige Weg, um die Situation für Frauen zu verbessern. „50 Prozent der Frauen schlafen hier bis zu fünf Tage und sind danach wieder verschwunden - sie kehren zurück in ihre prekäre Lebenslage“, sagt sie. „Natürlich ist es richtig, dass es die Notschlafstätte für Frauen gibt, aber es ist viel wichtiger, dass die Frauen auch hier wieder raus kommen. Und dafür müssen mehr frauenspezifische Angebote geschaffen werden, wo es von hier aus weitergehen kann“, sagt die 29-Jährige. „Die Wartelisten für Wohngruppen sind lang, und die meisten Wohngruppen und stationären Hilfsangebote sind männerdominiert und schrecken Frauen ab. Für Frauen, die in der Lage sind, allein zu leben, fehlt es schlicht an bezahlbarem Wohnraum.“

Immer wieder stehen auch Mütter mit ihren Kindern vor der Tür. Der traurige Klassiker: Freitagabends hat der Mann die Frau geschlagen, die Mutter hat ihre Kinder gepackt und sucht einen Platz zum Schlafen. Für Mütter mit Kindern gibt es seit 2015 eine Wohngruppe der Diakonie im Zooviertel. Aber auch diese Wohngruppe ist fast immer ausgelastet. So bleiben die Mütter erst mal in der Ariadne. „Obdachlose Mütter und Kinder, generell Frauen, müssen mehr in den Blick der Gesellschaft rücken. Es muss anerkennt werden, dass es diese Frauen gibt und es müssen entsprechende Hilfsangebote bereitgestellt werden.“

Für die 70-jährige Düsseldorferin, die seit Januar in der Ariadne wohnt, erfüllt sich zum 1. April der Traum einer Wohnung. Auch für das Team ein großer Erfolg. „Ich lebe schon seit 50 Jahren in Düsseldorf, aber so eine schöne Wohnung hatte ich wirklich noch nie“, sagt die Seniorin.