Interview Andreas Schmitz Düsseldorf profitiert vom Branchenmix

Interview · Der IHK-Präsident über die Folgen der Corona-Krise für Düsseldorf und ein neues Projekt für Berufseinsteiger

 Andreas Schmitz (60) ist Präsident der Industrie- und Handelskammer in Düsseldorf.

Andreas Schmitz (60) ist Präsident der Industrie- und Handelskammer in Düsseldorf.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Wir treffen Andreas Schmitz (60) im elften Stockwerk der Industrie- und Handelskammer am Ernst-Schneider-Platz. Der IHK-Präsident kann die Stadt durchs Fenster des großen Konferenzraums gut überblicken. Ein Gespräch über die Aussichten für 2021.

Wie geht es dem Präsidenten der IHK mitten im Lockdown?

Andreas Schmitz: Die Sorgen und Nöte für die Wirtschaft gab es ja schon vorher. Und man sollte sich mit Prognosen zurückhalten, wie lange dieser Zustand anhält. Im Sommer hat man das vielleicht theoretisch kommen sehen, aber sich nicht praktisch darauf vorbereitet, zum Beispiel in den Krankenhäusern, wo jetzt Personal fehlt. Aber nachkarten bringt nichts. Es ist einer der wenigen Momente in der Geschichte, wo Zukunft ihre Richtung ändert. Wir können uns nicht mehr auf Planbarkeit verlassen, jetzt ist eine Unsicherheitskompetenz erforderlich. Es gilt, mit täglich neuen Fallgestaltungen umzugehen, wir können da nicht mehr nur auf über lange Zeiträume erlangtes Wissen bauen. Entscheidungen müssen mehr nach dem Prinzip Versuch und Irrtum getroffen werden, im Wissen, die Entscheidung kann falsch sein. Damit muss auch eine größere Akzeptanz von Fehlern einhergehen.

Ist nicht das Gegenteil der Fall?

Schmitz: Es gibt sicher einige, die nicht mehr geradeaus denken können und sich dann Querdenker nennen. Die Einsicht überwiegt aber.

Wie gut hat die Düsseldorfer Wirtschaft die neuen Herausforderungen gemeistert?

Schmitz: Düsseldorf hat den Vorteil des breiten Branchenmix’, wodurch keine Abhängigkeiten von einzelnen Wirtschaftszweigen bestehen. Zudem hat die Umstellung ins Homeoffice vielfach sehr gut funktioniert, zum Teil waren die Ergebnisse besser als vorher. Das lag aus meiner Sicht daran, dass viel mehr Eigenverantwortung gefragt war und auch übernommen wurde. In der Gastronomie war zu sehen, wie schnell Außer-Haus-Geschäfte aufgebaut wurden. Aber wenn der eigene Betrieb einfach geschlossen wird, dann hilft auch die Kreativität nicht weiter, dann muss geholfen werden.

Wie gut funktioniert das Hilfsnetz?

Schmitz: Im Vergleich mit anderen Ländern, kann sich niemand beschweren. Hier zeigt sich die Wirtschaftskraft des Landes. Und die Instrumente wie Überbrückungshilfen sind wichtig, aber die Mittel sind endlich. Wir müssen aufpassen, dass wir Geschäftsmodelle unterstützen, die eine Zukunft haben.

Sogar die Hersteller von Feuerwerk fordern Hilfen.

Schmitz: Das stimmt, vielleicht haben wir es aber auch besonders nötig, die bösen Geister zu vertreiben (lacht). Wir sollten aufpassen, dass wir uns nicht zu sehr in Details verlieren. Was aber keine Nebensächlichkeit ist: dass es bei vielen Jugendlichen und angehenden Studenten langsam brodelt. Ihnen entgeht etwas im Leben, wenn sie zum Beispiel zurzeit nur per Videokonferenz an einigen Kursen teilnehmen können, aber das eigentliche Studentenleben nicht möglich ist.

Auch nach der Krise wird es weiter mehr Homeoffice geben, welche Effekte wird das für die Stadt haben?

Schmitz: Tatsächlich denken viele Unternehmen darüber nach, ihren Mitarbeitern künftig zwei bis drei Tage Homeoffice zu ermöglichen. Mehr wollen viele Mitarbeiter gar nicht, da sie nicht nur zu Hause sitzen wollen und die sozialen Kontakte brauchen. Zehn bis 25 Prozent der Tätigkeiten werden künftig sicher im Homeoffice ausgeführt werden können. Aber ein Überangebot von Büroflächen sehe ich für Düsseldorf nicht, dazu wird die Stadt in Zukunft wieder zu pulsierend sein und gefragt für Neuansiedlungen. Auch weil die Stadt nicht nur zum Arbeiten interessant ist. Da müssen wir eher fragen, ob wir die geplanten, neuen Hotelkapazitäten noch brauchen. Es wird künftig weniger Geschäftsreisen geben. Um so wichtiger wird es, mit Blick auf Flughafen und Messe, internationale Gesellschaften anzusiedeln. Da ist Düsseldorf in einer besseren Position als andere Kommunen, da die Stadt per se international ist. Kunden werben Kunden. Das chinesische Unternehmen wird also weitere anziehen.

Was heißt es, wenn nicht nur weniger Büroflächen, sondern auch noch weniger Handelsflächen benötigt werden, wie es sich zurzeit andeutet?

Schmitz: Düsseldorf hat den großen Vorteil, eine sehr attraktive Stadt zu sein, samt der Quartiere. Sicher wird es zum Beispiel weniger Bank-Filialen geben und das setzt Städte unter Druck, aber in Düsseldorf wird das weniger Folgen haben, es bleibt ein Magnet fürs Umland und das Einkaufserlebnis wird weiterhin groß sein. Aber der Handel muss auch unterstützt werden, mit mehr Events, mehr Aufenthaltsqualität und Gastronomie. Und die Geschäfte müssen sich auch selber mehr in Richtung Online-Handel ertüchtigen. Dabei helfen wir als IHK.

Sehen Sie trotz der Stärke des Standorts mehr Insolvenzen auf Düsseldorf zukommen?

Schmitz: Das wird im zweiten und dritten Quartal der Fall sein. Irgendwann ist auch der Retter überfordert. Auch die Stadt wird mit deutlich weniger Gewerbesteuereinnahmen auskommen müssen. Da wird die Frage sein, was ich mir noch erlauben kann. Aber wir werden das in Düsseldorf positiv meistern.

Dennoch befasst sich die Stadt ja sehr mit Leerstandskonzepten, um Dominoeffekte zu vermeiden, etwa mit einer Zwischennutzung für den Kaufhof.

Schmitz: Das ist auch richtig, auch der Investor hat nichts von einem Leerstand. Grundsätzlich gilt, je mehr Leerstand entsteht, um so schwerer werden Neuansiedlungen.

Welche Stadtentwicklungskonzepte sind noch nötig im Hinblick auf eine moderne Stadt?

Schmitz: Aufenthaltsqualität ist wichtig. Gehen Sie mal über die Kö, da wird Gastronomie nicht gerade groß geschrieben. Und mit Events müssen die Menschen in die Stadt gezogen werden. Auch Erreichbarkeit ist ein Thema, da sind Staus ein Problem, der öffentliche Nahverkehr muss ausgebaut werden, es braucht Mobilitätsstationen. Die Zusammenarbeit mit dem Umland muss verbessert werden, was der neue Oberbürgermeister Stephan Keller auch vorhat. Düsseldorf ist extrem dicht besiedelt und braucht diese Zusammenarbeit: von der intelligenten Verkehrssteuerung bis zu gemeinsamen Industrieflächen.

Gilt das auch fürs Thema Wohnen?

Schmitz: Ja, wir müssen in Düsseldorf nicht alles mit Wohnungen zubauen. Die Entfernungen ins Umland sind sehr moderat. Es gilt, den gesamten Ballungsraum attraktiv zu gestalten.

Wie ist der Konkurrenzkampf um die Gewerbesteuer aufzulösen? Am Ende zahlt das Unternehmen in der Kommune, in der es sich niederlässt.

Schmitz: Da müssen gemeinsam intelligente Lösungen gefunden werden. Konkreter will ich da noch nicht werden.

Was sagen zum Konzept des neuen Oberbürgermeister Stephan Keller, wonach die Umweltspur mit neuen Ampelschaltungen ersetzt werden soll?

Schmitz: Es kommt drauf an. Wenn es zu Staubildungen kommt, halte ich das nicht für förderlich. Wichtig ist aus meiner Sicht ein möglichst gut fließender Verkehr, wodurch weniger Emissionen erzeugt werden. Die Umweltspur hat sich nicht als das Wahre herausgestellt. Sie war zudem zu 95 Prozent leer. Mit Corona verändert sich aber auch viel in der Stadt. Die Menschen sind zum Beispiel deutlich mehr mit dem Lastenfahrrad unterwegs, der ÖPNV wird gemieden. Vielleicht müssen wir unsere Rezepte von Mobilität noch mal neu denken. Vielleicht werden wir künftig sowieso 20 Prozent weniger Verkehrsaufkommen haben und einige Probleme lösen sich von selbst. Was wir jedenfalls nicht brauchen, sind eher ideologisch geprägte Projekte wie die Umweltspur oder ein Pop-up-Radweg, der schlecht gemacht sowie gefährlich war, und an dieser Stelle überflüssig.

Wie gut kommt der Digitalisierungsprozess voran?

Schmitz: Da hat es einen großen Schritt nach vorne gegeben. Auch bei der IHK, indem wir Webinare anbieten oder eine digitale Unternehmerreise nach Indien.

Wie gut erfüllt die Stadt ihre Pflicht?

Schmitz: Sie ist nicht schlecht aufgestellt. Wir haben zum Beispiel 95 Prozent schnelles Internet, das ist ein paar Kilometer weiter schon nicht so. Aber wir müssen weitermachen. Die Stadt muss noch mehr tun, um Behördengänge online abzuwickeln. Die Smart-City wird kommen, und da arbeiten wir der Stadt gemeinsam daran. Insgesamt hat Deutschland aber großen Nachholbedarf und liegt weit hinter anderen Ländern zurück.

Auch Smart-School ist ein großes Thema.

Schmitz: Das stimmt. Nur ein geringer Teil der vom Bund bereitgestellten fünf Milliarden Euro aus dem Digitalpakt sind überhaupt abgerufen worden. Und mit digitalen Endgeräten und anderer Infrastruktur ist es nicht getan. Die Lehrer müssen ausgebildet, die Lehrpläne angepasst werden. Wir helfen etwa mit dem Pacemaker-Projekt, wodurch Schüler zu digitalen Experten ausgebildet werden. Auf dem gesamten Thema berufliche Bildung liegt für uns ein Schwerpunkt. Wir haben 20 Prozent weniger Ausbildungsverträge. Da gibt es Unsicherheiten aufseiten möglicher Bewerber und der Unternehmen. Wir haben beispielsweise virtuelle Börsen eingerichtet.

Was sind in dieser Hinsicht wichtige Projekte der IHK für 2021?

Schmitz: Wir haben das Problem, dass Eltern und Schulabgänger keinen Überblick haben, welche Vielzahl an beruflichen Wegen möglich ist. Deshalb wollen wir mit Handwerkskammer, Hochschule und Uni eine gemeinsame Plattform bauen, auf der jeder seine Bildungsangebote einstellen kann, und die werden über die Schulen an die Eltern vermittelt. So kann Jugendlichen die Berufswahl deutlich erleichtert werden. Eltern sehen vielleicht, dass es nicht unbedingt ein Studium sein muss, die zunehmende Akademisierung führt nicht in die richtige Richtung. Sehen Sie sich zum Beispiel die goldenen Zeiten für das Handwerk an. Es ist volkswirtschaftlich ungeheuer wichtig, gerade in der Coronakrise etwas für diese junge Bevölkerungsschicht zu tun.

Wie erleben Sie persönlich diese Krise?

Schmitz: Ich vermisse natürlich soziale Kontakte und das Reisen. Aber ich finde es ungeheuer bereichernd, in meiner Tätigkeit als Berater zu sehen, wie kreativ mit der Krise umgegangen wird und neue Wege gegangen werden. Es war ein anstrengendes Jahr, aber mir gefällt das dynamische, weniger statische Agieren und das stärkere Miteinander. Da komm überwiegend am Ende das Beste raus.