Deichsanierung in Himmelgeist: „Der Fluss braucht mehr Raum“

Im Fall der umstrittenen Deichsanierung in Himmelgeist fordern Parteien und Verbände ökologischen Hochwasserschutz. Doch was bedeutet das überhaupt?

Foto: Nikolas Golsch

Es ist die Horrorvorstellung schlechthin. Wenn in Himmelgeist der Deich bricht, stehen große Teile Holthausens und Itters unter Wasser. Der Deich ist zu niedrig und außerdem marode, seit Jahrzehnten wird an einer Lösung geplant. Favorisiert wurde lange eine Rückverlegung des Deiches hinter die Kleingartenanlagen im Rheinbogen. Der alte Deich würde dabei stehen bleiben und nur an einzelnen Stellen durchbrochen. So wäre eine kleine Aue geschaffen worden, in die sich der Fluss bei Hochwasser hätte ausdehnen können. „Eine gute Lösung“, befanden die Naturschutzverbände. Offenbar aus Kostengründen ist die Variante dann aber vom damals CDU-geführten NRW-Umweltministerium verworfen worden (die WZ berichtete). Nun soll der Deich nur abgetragen und an selber Stelle neu gebaut werden.

Doch dagegen regt sich immer mehr Widerstand. Fatal findet der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) die Entscheidung und schätzt sie als rechtswidrig ein. Auch die Grünen setzten sich für ein Umdenken ein, ebenso die Stadtteilpolitiker im betroffenen Bezirk 9. Sie alle fordern, endlich ökologischen Hochwasserschutz zu betreiben. Doch was ist das überhaupt?

Aktuell wird größtenteils technischer Hochwasserschutz betrieben — mit immer höheren Deichen und Schutzmauern. Auch die momentan geplante Lösung in Himmelgeist (höherer Deich) fiele darunter. „Unter ökologischem Hochwasserschutz versteht man hingegen die Renaturierung der Flussumgebung“, sagt Biologin Elke Löpke von der Biologischen Station. Darunter fallen zum Beispiel die Entgradigung der Flüsse und das Schaffen von Auen. Ökologischer Hochwasserschutz schließt darüber hinaus auch die Zuflüsse mit ein — auch sie können renaturiert werden. Beispielsweise indem Betonschalen entfernt werden und das natürliche Flussbett wieder hergestellt wird. Dadurch kann es Wasser aufnehmen und Hochwasser abmildern.

Wenn Deiche zurückverlegt werden, hat der Fluss bei Hochwasser mehr Platz, um sich in die Breite auszudehnen. „Aus einem Hochwasser wird quasi ein Breitwasser“, erklärt Löpke. Die Hochwasserflut werde so nicht immer weiter flussabwärts geschoben: „Jeder Millimeter mehr Platz für das Wasser zahlt sich aus. Der Fluss braucht mehr Raum.“ Würde der Deich in Himmelgeist verlegt, würden davon also auch der Düsseldorfer Norden und Duisburg profitieren. Zudem entstehen artenreiche Auen, die vielen selten gewordenen Tier- und Pflanzenarten Lebensraum bieten, nicht zuletzt bringt eine Überschwemmung auch neues genetisches Material in die Gebiete. Versickert das Wasser im Auenboden, können sich neue Grundwasserkörper bilden. Das Wasser durchläuft einen natürlichen Reinigungsprozess.

Technischer Hochwasserschutz benötigt deutlich weniger Fläche. „Ökologische Lösungen nehmen Platz ein, Landwirtschaft ist auf Überschwemmungsflächen meistens nicht mehr möglich, weil das Wasser natürlich Boden wegspült“, erklärt Elke Löpke.

Das hängt erst einmal davon ab, wie die Bezirksregierung die Planung für die Abtragung und den Neubau des Deiches beurteilt. Sollte die Bezirksregierung sie als rechtssicher einstufen, erwägt der BUND eine Klage. Er vertritt die Ansicht, dass die Pläne gegen die Wasserrahmenrichtlinie verstoßen. Die sieht vor, dass alle Maßnahmen die Wasserqualität verbessern müssen — laut Stadt ist das hier nicht der Fall.