Schadowstraße in Düsseldorf Vom Steinweg zur Fußgängerzone
Düsseldorf · An der Schadowstraße standen früher die Gärten reicher Bürger aus der Altstadt. Wie sie sich zur Einkaufsmeile entwickelt hat.
Die Schadowstraße ist in Düsseldorf die Straße der Straßen. Keine hat mehr Superlativen. Sie gehört zu den ältesten, bekanntesten, bedeutendsten, umsatzstärksten, meist frequentiertesten Straßen der Stadt. Und: Keine Straße in der Landeshauptstadt hat sich öfter gewandelt und neu erfunden.
Vermutlich war sie schon da, als Düsseldorf noch nicht einmal Stadt war. Wie immer es vor 1288 hier ausgesehen hat. Eine Verbindung des namelosen Dorfs am Unterlauf der Düssel mit seinen Nachbarn im Osten, den Gerresheimern, Altenbergern und Elberfeldern musste es gegeben haben. Über Jahrhunderte war die heutige Schadowstraße nichts anderes als das erste Teilstück des Flinger Steinwegs, der Düsseldorf über den Wehrhahn, Flingern und den Grafenberg unspektakulär mit dem Bergischen Land verband. Unbewohnt. Buschland. Etwas Ackerbau. Wie vieles Fortschrittliche in Düsseldorf wird die erste Modernisierung der vom Flinger Tor (heute Heinrich-Heine-Platz) ausgehenden Landstraße gerne Jan Wellem zugeschrieben. Der vielfach kolportierten Behauptung, der Flinger Steinweg sei vom kunstsinnigen Kurfürsten im 17. Jahrhundert gepflastert worden, steht allerdings entgegen, dass die Straße noch um 1850 mit unbefestigtem Kies und Basalt belegt war.
Erst mit Beginn des 18. Jahrhunderts werden die Konturen der wichtigen Postkutschenstraße von Düsseldorf ins Bergische deutlicher. Zu dieser Zeit war der Flinger Steinweg bereits ein Hotspot für alle Düsseldorfer Gartenfreunde. Wer in der Alt- oder Carlstadt lebte, konnte alle Vorzüge des Stadtlebens genießen, musste allerdings auf den eigenen Garten vor der Haustür verzichten. Hierzu fehlte innerhalb der umfestigten Stadt einfach der Platz. Vor den Mauern hingegen war Platz satt. Heute kaum vorstellbar: Wer von der Altstadt aus durch das Flinger Tor trat, stand mitten im Grünen. Vom Flinger Tor bis zum Wehrhahn reihten sich links und rechts des Flinger Steinwegs wie an einer Perlenschnur die Gärten des mal gehobenen, mal intellektuellen Bürgertums.
Auf den Düsseldorfer Stadtplänen aus vorpreußischer Zeit wirkt der Flinger Steinweg wie der Hohlweg durch eine Schrebergartenkolonie. Die Düsseldorfer Vorstadtgärten waren jedoch alles andere als ein Vorläufer der deutschen Kleingartenkultur des späten 19. Jahrhunderts mit Vereinssatzung, Laube, Geräteschuppen und Gemüsebeet. Die Gärten am Flinger Steinweg waren reine Lust- und Wandelgärten und dienten der Düsseldorfer Hautevolee als prestigeträchtige Rückzugsorte, um der Enge der Stadt zu entfliehen. Wer nachspüren möchte, wie das Düsseldorfer Bürgertum im Spätbarock sich am Wochenende entschleunigte, braucht heute nur durch den Malkastenpark zu gehen, der in den 1770er-Jahren von Friedrich H. Jacobi als Kunstgarten im englischen Landschaftsstil angelegt wurde.
Das Gartenidyll vor dem Flinger Tor war nicht von Ewigkeit. Ausgangs des 18. Jahrhunderts wurde es hier immer lauter. Neben den Gartenlauben und Lusthäusern etablierten sich Schenken und Wirtschaften. Wer heute über die Schadowstraße schlendert, kann sich kaum vorstellen, dass die Wiege der viel besungenen Längsten Theke der Welt nicht in der Bolkerstraße sondern am Flinger Steinweg stand. Mit den Lustgärtnern hatten sich auch Wirtsleute vor den Toren der Stadt niedergelassen, um die Düsseldorfer Sonntagsausflügler mit Speisen und Getränken zu versorgen. Spätestens gegen Ende des 18. Jahrhunderts war die Wirtshauslandschaft hier so dicht, dass der Flinger Steinweg durchaus als die erste Amüsiermeile von Düsseldorf bezeichnet werden kann. Neben einfachen Schenken für Fuhrleute gab es familienfreundliche Gartenlokale für das bürgerliche Publikum und verschiedene Etablissements für Tanz und Unterhaltung.
Flinger Steinweg war erste Straße mit durchgängiger Bebauung
Nach Schleifung der Düsseldorfer Festungswerke 1806 war der Flinger Steinweg die erste außerhalb der Altstadt liegende Straße, die schon im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts durchgängig bebaut war. Erst zwischen, dann anstelle der Gartenlokale hatten sich die ersten Düsseldorfer den Traum vom Haus im Grünen erfüllt: Fabrikanten, Justizräte, Bankiers, Militärs. Und Kunstakademiedirektor Wilhelm von Schadow, der 1838 an der Ecke zur Bleichstraße eine standesgemäße Stadtvilla für sich errichtete und bezog. Zur 25-jährigen Amtsführung erhielt der Akademieleiter von den Düsseldorfern ein ungewöhnliches Geschenk. Vom Flingertor bis zur Jacobistraße wurde der Flinger Steinweg 1851 in Schadowstraße umbenannt.
Unter neuem Namen ging der alte Steinweg mit Düsseldorf in eine neue Zeit. Im Laufe der Industrialisierung wurde aus der etwas behäbigen Residenzstadt Düsseldorf eine pulsierende Großstadt, aus der behaglichen Schadowstraße eine quirlige Hauptgeschäftsstraße. Als Wilhelm von Schadow 1862 starb, gab es in seiner Straße eine Viktualienhandlung, eine Bäckerei, eine Metzgerei, einen Buch- und Schreibwarenladen und eine Apotheke. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs war alles anders. Die ein- oder zweigeschossige Erstbebauung der Schadowstraße war modernen Mehrgeschossbauten mit Ladenlokalen und Wohnungen gewichen. Verteilt auf rund 80 Adressen boten über 150 Geschäfte ihre Waren und Dienstleistungen an und warben mit großen Schaufenstern um Kunden. Auf der Schadowstraße gab es alles zu kaufen, was man zum Leben, Arbeiten und in der Freizeit brauchte: Grundnahrungsmittel und Delikatessen, preiswerte wie auch hochpreisige Bekleidung vom Kopf bis zu den Füssen, Möbel und Haushaltswaren.
Es gab Geschäfte für Elektrogeräte, Waffen, Flügel und Pianos, Luxus und Galanteriewaren, Bücher, Lederwaren, Spiel- und Sportartikel. Es gab Optiker, Parfümerien, Fotografen, eine Plisseebrennerei und ein Institut für Schönheitspflege. Kein Geschäft war wie das andere. Alle Fassaden, Schaufenster und Verkaufsräume waren individuell gestaltet. Um 1900 meist im lupenreinen Jugendstil. Neben Shopping war auch Amüsement möglich. Wer in der Schadowstraße abends Geselligkeit und Unterhaltung suchte, ging in die Tonhalle, zu den Schadow-Lichtspielen oder in eine der vielen Restaurationen und Tanzlokale. An der Schadowstraße gab es das erste Großkaufhaus (Leonard Tietz) und das erste Automatenrestaurant der Stadt. Fast alle Geschäfte und Lokale waren inhabergeführt und konnten sich über Jahrzehnte an der Schadowstraße halten. Peek und Cloppenburg sogar von 1901 bis heute.
Die Krisen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts – Weltkrieg, Revolution, Besatzung, Inflation – überstand die Schadowstraße leidlich. In der Zwischenkriegszeit erlebte sie eine wirtschaftliche Hochblüte und versprühte einen Hauch von Weltstadt in der Dorfstadt. Die „Kaskade“, ursprünglich ein nüchternes Versammlungslokal, mutierte in den Goldenen 1920er-Jahren zum angesagten Szeneklub: Kabarett, Tanzbar mit Tischtelefonen, Rio-Rita-Bar, Weindiele und Pusztakeller. Im Luftkrieg versank die Lebensader der Stadt in Schutt und Asche.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
ein einziges Trümmerfeld
1945 war die Schadowstraße von der Kö bis zum Wehrhahn ein einziges Trümmerfeld. Was eine Katastrophe war, verstand der Düsseldorfer Stadtplaner Friedrich Tamms als Chance. Getrieben von der Vision einer autogerechten Stadt, setzte er beim Wiederaufbau der Innenstadt gegen viel Widerstand durch, dass die Baulinie auf der Südseite der Schadowstraße um etwa 10 Meter zurückverlegt und die Straßenbreite verdoppelt wurde. Dass nicht alle dem Zwang nachgaben, zeigt bis heute das Kuriosum der Tuchtinsel im Kreuzungsbereich zur Berliner Allee. Ungeachtet aller Streitigkeiten wurde zu Beginn der 1950er-Jahre an der Schadowstraße wie irre gebaut.
Als das westdeutsche Wirtschaftswunder so richtig Fahrt aufnahm, war es hier schon durch. Spätestens als 1952 der Karstadt an der Tonhallenstraße öffnete, war die Schadowstraße wieder die Düsseldorfer Shoppingmeile. Noch nicht durchgängig wiederbebaut. Nicht mehr so leuchtend und bunt wie vor dem Krieg, eher mausgrau, aber umsatzstark. Letzteres ist sie bis heute geblieben. Vieles andere hat sich im letzten halben Jahrhundert an der Schadowstraße hingegen geändert. Statt inhabergeführter Geschäfte gibt es Ketten. Statt Schaufenstern mit Zierrahmen gibt es getönte Ganzglasfronten. Statt der Straßenbahn fährt die U-Bahn. Statt Auto fährt man Fahrrad oder geht zu Fuß. Statt dem Kaufhaus mit Universalangebot gibt es den Shop-in-Shop mit Ladeninseln. Doch in einem bleibt die Straße sich treu. Mit der neuen Pflasterung erinnert die Schadowstraße irgendwie an einen Steinweg.