Ein Analytiker der Farben und Formen
Der Maler Jan Schüler ging der Geschichte seines Vaters nach und stieß auf Fotos vom KZ Auschwitz. Das Ergebnis ist eine faszinierende Serie.
Jan Schüler (Jg. 1963), Meisterschüler von Fritz Schwegler, ist bekannt für einen merkwürdig eingefrorenen Realismus. Immer sind es sehr strenge Figuren, die zwar real wiedergegeben sind, jedoch gleichzeitig wie weggetreten erscheinen. Ein Analytiker der Farben und der Formen. Doch was er in den vergangenen zwei Jahren geschaffen hat, ist mehr als nur eine Frage von Form und Farbe. Es ist eine Auseinandersetzung mit sich, seinem Vater und der Zeit des Holocaust. Eine erschreckende Biografie kommt dabei zu Tage.
„Ich lag abends im Bett und erlebte eine Buchvorstellung im Fernsehen über den Auschwitz-Fotografen Wilhelm Brasse. Das war im Herbst 2015. Ich kaufte mir das Buch und hatte mein Thema gefunden. Ein Thema, das ich eigentlich schon immer in mir trug.“
Zunächst zögernd berichtet er von seiner Biografie, erwähnt seine Eltern, beschreibt sie als „sehr problembehaftet“ und tastet sich langsam an seine sehr private Geschichte heran: „Mein Vater ist 1942 mit 17 Jahren in die Division Hermann Göring eingezogen und im Russlandfeldzug eingesetzt worden. Das war der schlimmste Feldzug, was die Vernichtung angeht. Er kam nach Litauen. Dort ist der Holocaust geprobt worden.“
Nach einer kurzen Pause berichtet Schüler emotionslos, wie die Deutschen innerhalb weniger Wochen das ganze litauische Judentum ausrotteten. Ein paar Monate später sei Auschwitz eröffnet worden. Schüler hält inne, überspringt ein paar Jahre und berichtet von der Heimkehr des Vaters aus der Kriegsgefangenschaft. Er sei sofort aus der Kirche ausgetreten, habe getrunken, um zu vergessen. Aber habe nicht gesprochen. Schüler erwähnt seine Schwester. Mit ihr hätte er sich gewundert, warum die Eltern so merkwürdig sind.
1979 strahlte das amerikanische Fernsehen eine Serie über den Holocaust aus, und Schüler erinnert sich: „Ich war 16 Jahre alt, als sich meine Eltern nach dieser Sendung brutal gestritten haben. Meine Mutter, die einst aus Oberschlesien geflohen war und als Sechsjährige Vergewaltigungen miterlebt hatte, warf meinem Vater vor, er sei an dem Verbrechen beteiligt gewesen. Er sagte nur, er hätte es nicht besser gewusst.“
Schüler ließen die Gedanken an seine Eltern nicht los. Er las Bücher, lernte 1995 das Erinnerungsbuch von Dieter Wellershoff kennen, einem Freund des Vaters, der über die gemeinsame Zeit im selben Bataillon schrieb. Schüler rückblickend: „Im Laufe meines Lebens ist das Thema immer wieder zu mir zurückgekehrt.“
Sein Vater starb in diesem Frühjahr und nahm sein schreckliches Geheimnis mit ins Grab. Schüler aber hatte die Fotos von Wilhelm Brasse zur Hand und malte. Offensichtlich reagierte er dabei auf seine Alpträume. Er sagt: „Brasse hatte einen österreichischen Vater und eine jüdische Mutter. Deshalb landete er im KZ Auschwitz. Dort musste er in der erkennungsdienstlichen Abteilung jene Häftlinge fotografieren, die nicht sofort in die Gaskammern kamen, sondern vor der Tötung noch einige Monate als Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden. Die SS erfasste sie akribisch mit Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Beruf und dem Tag der Tötung.“
Schülers Porträts der Menschen in der Sträflingskleidung sehen den Fotos sehr ähnlich. Dennoch wirken sie wie im Wachtraum festgehalten. Das Gesicht ist fast skulptural behandelt und besitzt eine nicht ganz fassbare Schönheit. Hierzu der Künstler: „Es ist überraschend, was für eine starke Ausstrahlung die Menschen trotz ihrer schrecklichen Lage haben. Sie saßen auf dem Schemel, manchmal wogen sie nur noch 35 Kilo und wussten, was auf sie zukam. Dennoch waren sie sehr präsent.“
Der Künstler schloss ihre Augen. Er wollte sie nicht in ihrem Schrecken und in ihrer Opferrolle zeigen. Der Fotograf hatte vielfach die blutunterlaufenen Stellen wegretuschiert. Schüler reduzierte noch mehr, ließ etwa die SS-Symbole weg und die Leichtmetallknöpfe mit dem Gütesiegel „Deutsche Mode“. Stattdessen fügte er ihnen eine Blume hinzu, Sinnbild des Todes.
Alle Porträts sind vor milchig-grauem Hintergrund gemalt. Schüler beschreibt die absurde Situation: „Es gab ein richtiges Fotostudio in Auschwitz. Die Opfer wurden vor einer hellgrauen Wand aufgenommen. Der Hauptfotograf Brasse hatte bis zu zehn Angestellte, die in den Labors die Kontaktabzüge entwickelten.“
Der Galerist Peter Tedden von der Bilker Straße 6 war von Schülers Werk fasziniert und besorgte Ausstellung und Katalog, wohlwissend, dass sich kaum jemand diese Gemälde ins Wohnzimmer hängt.