Ein Bankkaufmann als Puppendoktor
Wenn der Puppe der Arm schlackert, dem Teddy ein Auge fehlt, dann hilft Christian Schneider.
Wer das Ladengeschäft betritt, der ist in einer anderen Welt. Da ist dieser Geruch, nicht streng, nicht störend, aber eben ganz leicht muffig. Es riecht nach altem Keller. Und dann, dann sind da die Puppen. In jeder Form, in jeder Farbe, in jeder Größe. Sie stehen, liegen, sitzen in alten Drogerieschränken aus den 60er Jahren. Puppen, überall nur Puppen, egal wohin man schaut.
Puppendoktor Christian Schneider steht in seiner Puppenklinik und behandelt gerade seinen ersten Patienten. Es scheint sich um einen schweren geriatrischen Fall zu handeln. Fachmännisch streicht Schneider über die Zelluloidgelenke, befühlt die Schultern, wiegt dabei seinen Kopf hin und her. Einen weißen Kittel trägt der Doktor nicht, bei ihm ist es die blaue Arbeitsschürze.
„Das ist eine alte Christel von Schildkröt“, erklärt er der Kundin. „Die Ersatzteile sind zum Teil um die 65 Jahre alt.“ Die besorgte Kundin nickt. „Ist egal, wie teuer es ist. Reparieren Sie mir bloß meine Heidi, ich hänge so sehr an ihr.“ Sie bekommt einen Abholzettel von Christian Schneider, in ein paar Tagen soll sie wiederkommen.
„Ich bediene sehr zeitintensiv“, sagt Schneider, während er Heidi in ihr Krankenlager, einen Pappkarton, packt, „Aber die Zeit ist sinnvoll genutzt. Für den Kunden und für mich. Ich gebe zu, ich bin kein Schnäppchen. Aber eine Restaurierung bedarf viel Zeit. Es ist das Ideelle, was die Menschen an meiner Arbeit schätzen.“ Schneider ist spezialisiert auf das Verarzten von Puppenpatienten aus den 40er bis 60ern. „Wenn damals die Sirenen heulten und man in den Bunker rennen musste, da hatte man seine Puppe an der Hand. Sie hat zugehört, sie hat getröstet“, beschreibt er.
Das Wartezimmer an der Alexanderstraße ist immer voll, das 300 Quadratmeter große Lager prall gefüllt, von Ersatzaugen bis hin zu Mohairperücken. Der Puppendoktor, der von sich selbst auch gerne mal als „der Schneider“ spricht, führt den Familienbetrieb mittlerweile in der vierten Generation. Schon der Urgroßvater versorgte „verletzte Lieblinge.“
Abgeguckt hat sich Schneider das Handwerk von Kindesbeinen an, auch wenn ihn das Leben erst mal zu einem normalen Beruf führte. „Ich war zehn Jahre lang Bankkaufmann“, sagt er. „Aber es hat mich nicht mehr erfüllt. Dann habe ich begonnen, meinem Vater zu helfen. ‚Da ist das Töpfchen Zelluloid. Macht bloß nix kaputt, Junge!’, das waren seine ersten Sätze“, erinnert sich Christian Schneider.
Ein Leben ohne sein Ladengeschäft und ohne seine Patienten kann er sich nicht mehr vorstellen. „Nennen Sie mich einen bekloppten Idealisten, aber ich weiß, was mich glücklich macht.“ Nur zu Hause, da lebt Christian Schneider ganz puppenfrei. „Meine Frau würde mich schlagen“, sagt er lachend.