Stadt-Teilchen Ein Hauch von Fete an Rheinkilometer 735,5
Düsseldorf · Als noch am Flussufer gefeiert wurde – und nicht im Club.
Wie feiert man heute eigentlich? Die Kinder haben mir gesagt, dass man gar nicht mehr feiert, dass man inzwischen vielmehr jemanden feiert. „Ich feiere dich hart für dein Aussehen“, sagen dann Hipster, die ihre pubertären Pickel unter einer Bartlandschaft verstecken, in der man problemlos das RTL-Dschungelcamp veranstalten könnte. Man feiert also nicht mehr einfach so. Man geht vielmehr aus, was bedeutet, dass man in eine Lokalität hineingeht, was ja im Wortsinne erst einmal widersinnig klingt. Man geht irgendwo ein und sagt dann, dass man ausgeht. Verkehrte Welt.
Auf jeden Fall trifft man sich dort, wo man zum Ausgehen eingeht, mit Gleichgesinnten und führt seinem Blutkreislauf Alkoholika in nicht geringen Mengen zu. Geht man aus, geht man meistens in einen Klub oder in einen Club. Wie immer man das auch korrekt und hip schreibt, es wird stets gleich ausgesprochen. Ganz so wie der selige Hanns Dieter Hüsch einst reimte: „Hallelujah, hallehub, wir gründen einen Klub“
Der Umgang mit dem Wörtchen Klub hat in den vergangenen Jahrzehnten einen starken Wandel erfahren. Früher gingen nur altmodische Menschen in einen Klub und setzten dort Kugeln gegen Kegelbefall ein. Solche Menschen waren im Klub, und sie waren meistens alt. Sehr alt, zumindest aus der Sicht pickeliger Hipster-Barträger. Heutzutage gehen fast nur noch junge Menschen in den Klub. Verkehrte Welt.
Natürlich hat das damit zu tun, dass jede Generation ihren eigenen Wortschatz hebt, dass sich Menschen definieren über das, was sie sagen. Als ich mich bemühte, meine pubertären Pickel unter einem nicht wirklich Bart zu nennenden Flaumgewölle zu verstecken, starb gerade das Wort Party. Party war damals etwas für die Elterngeneration, die sich dafür gerne in den sprichwörtlichen Partykeller verkroch. Wer etwas auf sich hielt, hatte einen Partykeller. Mit Theke und leeren Chianti-Korbflaschen, auf deren Öffnung bunte Kerzen gestülpt waren, deren Wachsflüsse am Flaschenäußeren herab rannen. Im Partykeller wurde viel geraucht, es wurde viel getrunken, und wenn es zum Überschwang der Gefühle kam, dann legte irgendwer eine James-Last-Platte auf, die „Non Stop Dancing“ hieß und auch so klang. Auf den Platten wurden die aktuellen Hits der jungen Generation mit guter Laune durch eine Art Wurstpresse geschoben und zu einer Art Klangkonglomerat geknetet, das nichts mehr mit dem Ursprungslied zu tun hatte, sondern bedeutungstechnisch zwischen Einer- und Keinerlei oszillierte.
Wir mochten James Last nicht, und „Non Stop Dancing“ war in unseren Ohren ein Fall für die örtlichen Menschenrechtsbeauftragten. Wir feierten lieber Feten. Eine Fete zeichnete sich allein schon dadurch aus, dass wir das einsilbige Wörtchen fête, das die Franzosen in etwa wie das hiesige Adjektiv fett aussprechen, gnadenlos eindeutschten und alle Vokale betonten. Bei Menschen, die zum eher weichen Singsang tendierten, klang das manchmal als würde sie eine Fehde feiern, aber wir in Düsseldorf liebten es doch eher hart.
Der Hit, auch so ein Wort aus jener Zeit, waren Rheinfeten. Die waren natürlich dem Umstand geschuldet, dass es in der Regel schwer fiel, Eltern davon zu überzeugen, wie schön es doch wäre, wenn sie des Abends eine Horde Jugendliche in ihr Haus einfallen lassen würden. Deshalb rief an langweiligen Wochenenden, an denen sich keine Eltern erweichen ließen, also fast immer, irgendwer eine Rheinfete aus, und alle wussten Bescheid. Für uns Bilker war dann immer auch der Ort klar. Jeder wusste, dass er dort, wo der Volmerswerther Deich auf den Hammer Deich trifft, also am Segelhafen, runter von der Straße musste. Einmal hinter dem Hafen entlang und dann noch ein bisschen flussabwärts. Dort war Rheinfete.
Ich bin da kürzlich noch einmal langgegangen, und tatsächlich, er ist noch da, der alte Trampelpfad, der zur Rheinfete führte. Ich fand sogar den Punkt, wo wir uns immer versammelt haben. Rheinkilometer 735,5. Dort war der Platz für die Fete.
Dann wurde mit Blick auf das Grimmlinghausener Ufer ein Feuerchen entfacht, und irgendwer hatte immer eine Gitarre bei. Wir sangen dann „We Shall Overcome“ oder „Blowin‘ In The Wind“. Das mag gruselig geklungen haben, aber wir fanden es schön, weil es halt die Musik war, die im Radio kaum lief.
Auch wir hatten Korbflaschen dabei, allerdings ohne tropfende Kerzen. Wir waren eher am Inhalt interessiert, am Chianti. Oder am Lambrusco. Lambrusco hatte den Vorteil, dass er billig war und in größeren Flaschen geliefert wurde. Das half, unsere halbgaren Gesänge mit einem Promille-Nebel zu überziehen, der uns das Rauschen des Rheins als leisen Beifall interpretieren ließ.
Natürlich ging es nicht wirklich um den Rhein, nicht um die Musik, nicht um den Alkohol. Es ging natürlich ums Knutschen. Die coolen Jungs unter uns hatten das drauf. Sie wussten, wie das geht mit den Mädchen. Ich noch nicht so. Ich konnte gut reden mit den Mädchen. Ich war damals Bee-Gees-Fan, und das mochten sie sehr. Sie fanden mich süß und einfühlsam und haben viel und lange mit mir geredet. Geknutscht haben sie dann aber mit den coolen Hendrix- und Stones-Fans. Ich fand das nicht gerecht, aber what can a poor boy do…
Heute ist nichts mehr zu sehen vom Feuerchen. Keine Spur von Lagerfeuerromantik. Zu oft hat der Rhein hier aufgeräumt. Aber irgendwie liegt immer noch ein Hauch von Fete in der Luft. Ich habe dann bei meinem Besuch „Blowin‘ In The Wind“ gesungen. Ich war alleine, weit und breit niemand zu sehen, der mich hätte peinlich finden können. Und ich meine sogar, der Rhein hätte ein bisschen Beifall gespendet. Als ich wegging, war mir klar, dass dieser Ort für mich immer der Ort der Rheinfete bleiben wird. Hier wird niemals ein Klub sein, und das ist sehr schön so.