Düsseldorf Ein Theaterabend voller Kraft und Gefühl

Matthias Hartmann inszenierte Kleists „Michael Kohlhaas“ im Central. Die Darsteller leisteten Großartiges.

Foto: Sebastian Hoppe

Düsseldorf. Er will Gerechtigkeit, um jeden Preis. Selbst wenn er dabei unter dem Fallbeil endet, nimmt der eben noch wütende Michael Kohlhaas das Todesurteil an. Am Ende der Inszenierung von Matthias Hartmann steht er zufrieden vor dem Henker, denn nach blutigen Kämpfen verhelfen die kurfürstlichen Richter dem Pferdehändler Kohlhaas endlich zu seinem Recht und verurteilen den Junker Wenzel von Tronka.

Die Novelle, in der Heinrich von Kleist 1810 zeigte, wie weit Tugendterror und Selbstjustiz gehen kann, feierte jetzt als knapp dreistündiges Theater-Ereignis im voll besetzten Central Premiere.

Einen bejubelten, unterhaltsamen Abend voller Kraft, überschäumender Gefühle und filmartiger Bilder bietet die Regie. Ex-Burg-Intendant Hartmann erzählt die Novelle werktreu, mit Kostüm-Zitaten und Anspielungen auf 1532, die Zeit, in der der historische Kohlhaas um sein Recht gekämpft hat und den sächsischen Reformator Luther um Hilfe bat.

Die Figuren verharren meist in indirekter Rede und liefern anfangs sperriges Erzähltheater, das aber im Laufe des Abends an Dynamik und Spannung gewinnt.

Hartmann verzichtet aber auf aktuelle Bezüge der Fragen „Wie weit darf Selbstjustiz gehen? Wann mündet sie in fundamentalistischem Terror?“. Stattdessen setzt der Entertainer Hartmann auf Theaterdonner und -Nebel, verschwenderische Ton- und Musik-Collagen, mancherlei Budenzauber und markante Tableaus.

Star des Abends ist Bühnenbildner Johannes Schütz, der sich mal wieder selbst übertroffen hat. 289 graue Tische stellt Schütz zu einem Quadrat zusammen. Darauf tummeln sich Pferdehändler, seine geliebte, in Schnulzen besungene Lisbeth, zahlreiche Diener, der Junker, Schloss-Vogt, Kurfürsten und Martin Luther. Einige thronen am Rande der riesigen Tafel-Bühne oder erscheinen aus Nischen zwischen den Tischen.

In den Bürgerkriegs-Szenen, in denen Kohlhaas und seine Bande Wittenberg und Leipzig anzünden, wankt die Ordnung und die auf den Kopf gestellten Tische werden zu Kampfinstrumenten.

Ähnlich dienen Stühle als Waffen oder Pferde — zum Bespiel die beiden Rappen, um die der Streit zwischen Kohlhaas und von Tronka ausbricht. Wenn sich Parallelen zu unserer von IS-Terror geprägten Gegenwart aufdrängen, so überlässt es Hartmann dem Zuschauer, sie zu erkennen und auszuloten.

Ein Vorteil aber: Die Regie macht die Höhe- und Wendepunkte sicht- und hörbar. So ist der Tod von Kohlhaas’ Frau und Mutter seiner fünf Kinder, Lisbeth, für ihn der Moment, in dem er zu Waffen greift, um sich sein Recht zu erkämpfen. Das Bild erinnert an eine biblische Grablegung, unterstützt von gewaltiger, raumfüllender Sakralmusik. Nachhaltig wirkt auch das Erscheinen der Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen, wie auch der Dialog mit Luther, den er um Beistand und Vermittlung bei seinem Landesherren bittet.

Und die Schauspieler? In der Titelrolle überzeugt Christian Erdmann — ein eleganter, wenig aufmüpfiger Kohlhaas, für den Recht und Ordnung höchste Priorität haben. Wandlungsfähig leuchtet Erdmann die Facetten des tugendhaften Mannes aus, der beinah bewundernswert konsequent seinen Weg geht. Andrei Viorel Tacu gibt dagegen den verhuschten, leicht tuntigen Tronka in rotem Dress, der sich wie ein kleines Mädchen unter dem Tisch versteckt, um nicht in die Fänge von Kohlhaas zu geraten.

Manchmal hauen er — wie auch andere Nebenfiguren — auf die Comedy-Pauke und bescheren dem sonst so bitter ernsten Sujet unerwartet komische, heitere Momente. Hohe Darsteller-Qualität bieten ebenfalls Minna Wündrich (als Lisbeth), Thomas Wittmann (als Luther und Kurfürst) und Dominik Puhl (in zahlreichen Rollen).