Wettbewerb Fachkräftemangel in Düsseldorf: Headhunter werben Erzieher ab

Erzieher Marvin Keller war glücklich in einer DRK-Kita, dann machte ihm ein Headhunter ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte.

Marvin Keller wurde als Erzieher von einem Headhunter abgeworben. Ihm wird ein berufsbegleitendes Studium finanziert. Dazu kommt ein Dienstwagen.

Foto: Ines Arnold

Schon während seiner Ausbildung bekam Marvin Keller einen Eindruck davon, was es heißt, sich um den Arbeitsplatz keine Sorgen machen zu müssen. Als gelernter Erzieher, noch dazu als Mann in einer frauendominierten Branche, wurde ihm immer wieder von allen Seiten prophezeit, dass er eines Tages mit Kusshand genommen und in Zeiten des Fachkräftemangels bei den vielen offenen Stellen stets die Qual der Wahl haben werde. Dass er aber von einem Headhunter aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus abgeworben werde, dazu fehlte dem jungen Erzieher die Phantasie. Doch genau so kam es.

Der 24-Jährige war zufrieden in seiner Kita des Deutschen Roten Kreuzes. Zu den Kindern hatte er einen guten Draht, mit den Kollegen verstand er sich, der fachliche Standard in der Einrichtung beeindruckte ihn. Und doch spielte der junge Mann seit seiner Ausbildung zum Erzieher immer wieder mit dem Gedanken, sich weiterzubilden. Der Plan scheiterte am Geld. „300 Euro im Monat für ein berufsbegleitendes Studium sind mit einem Erzieher-Gehalt nicht so einfach zu stemmen“, sagt er. Und so war er äußerst empfänglich für das Angebot, das ihm eines Tages ein Headhunter machte: Arbeiten für eine Zeitarbeitsfirma, die ihm dreieinhalb Jahre lang ein berufsbegleitendes Bachelor-Studium an der Hamburger Fernhochschule finanziert und ihm einen Firmenwagen - Audi oder VW - zur dienstlichen und privaten Nutzung inklusive Tankbudget zur Verfügung stellt. Als Angestellter des Personaldienstleisters werde er für jeweils maximal neun Monate am Stück in verschiedenen Kitas in Düsseldorf und Umgebung eingesetzt, bis zu 50 Kilometer kann der Einsatzort vom Wohnort entfernt liegen. Marvin Keller spielte das Für und Wider durch und entschied sich schließlich für den Job und kündigte beim DRK.

Der Fachkräftemangel spitzt sich zu. In den Kitas aller Träger fehlen Erzieher, beim Deutschen Roten Kreuz sind es in jeder Kita im Schnitt zwei (Stand April). Es dauert teilweise bis zu sechs Monate, offene Stellen zu besetzen. Dass nun auch noch Headhunter und Zeitarbeitsfirmen mitmischen, ist für die Träger neu - und schockierend. „Das ist eine völlig neue Dimension“, sagt Matthias Henrichsen-Schrembs, stellvertretender Abteilungsleiter beim DRK. Er sieht die Methode vor allem aus pädagogischer Sicht äußerst kritisch. „Das bedeutet für die Kinder, dass sie sich immer wieder an neue Betreuungspersonen gewöhnen müssen und keine verlässlichen Bezugspersonen haben, zu denen sie stabile Beziehungen aufbauen können“, sagt er. Zwar habe auch schon das DRK, wie andere Träger, auf Zeitarbeitsfirmen zurückgegriffen, um kurzfristig Dienstpläne zu füllen, das seien aber Notlösungen und Ausnahmen.

Vielmehr bemühe man sich laut Henrichsen-Schrembs Anreize zu schaffen, um Bewerber zu locken und langfristig zu halten. So gibt es neben dem Tarifgehalt Jahressonderzahlungen, betriebliche Altersversorgung, Vergünstigungen bei Mitgliedschaften im Fitness-Studio oder beim Ticket-Abo im ÖPNV. Auch Fort- und Weiterbildungen werden den Angestellten in Aussicht gestellt. Marvin Keller war das aber nicht genug. In seinen Augen sind die großen Träger nicht flexibel genug, um auf individuelle Weiterbildungswünsche einzugehen. Das Budget pro Person und Jahr sei mit 150 Euro zu gering. „Und selbst wenn man eine externe Fortbildung selbst finanziert, bekommt man sie nicht oder nur mit viel Diskussionen mit den Arbeitszeiten vereinbart“, sagt er. Wenn der Dienstplan mit der heißen Nadel gestrickt ist, freue sich selten jemand darüber, wenn ein Mitarbeiter zur Fortbildung geht.

Am 3. Juni beginnt Keller seinen ersten Einsatz an einer Kita in Grevenbroich. Bald startet er auch mit dem berufsbegleitenden Studium Gesundheits- und Sozialmanagement, für das er 15 Stunden in der Woche investieren muss. „Ich weiß, dass es hart wird. Wechselnde Kitas, sich immer wieder neu eingewöhnen. Teilweise lange Fahrtzeiten und zusätzlich noch das Lernen fürs Studium“, resümiert er. Nichtsdestotrotz sei es für ihn die beste Wahl, um sein Ziel zu erreichen.

Dafür nimmt er auch in Kauf, dass er unterm Strich etwas weniger verdient als bei seinen letzten Arbeitgebern. Er wolle später einen Job mit Personalverantwortung und administrativen Aufgaben ausüben. „Eine Kita leiten zum Beispiel“, sagt er. Vielleicht führt ihn der Weg dann ja wieder zum DRK zurück.